22. Mai 2022

Haiti: Erdbeben hinterlässt auch seelische Schäden

Quelle: idea.de

Helfer des Roten Kreuzes im Einsatz auf Haiti. Screenshot: YouTube

Port-au-Prince (idea) – Nach dem schweren Erdbeben in Haiti versuchen christliche Hilfswerke, eine erste Bilanz der Schäden in ihren Projekten zu ziehen. Außerdem läuft die Katastrophenhilfe an.
 

Internationale christliche Dachorganisationen rufen zu Gebet und zur Solidarität mit den Betroffenen auf. Ein massives Beben der Stärke 7,3 auf der Richterskala hat am 12. Januar den Karibikstaat erschüttert und die Gebäude in der eine Million Einwohner zählenden Hauptstadt Port-au-Prince weitgehend zerstört. Man müsse mit mehr als 100.000 Toten rechnen, erklärte Ministerpräsident Jean-Max Bellerive. Unter den Opfern soll sich auch der katholische Erzbischof von Port-au-Prince, Serge Miot (63), befinden. Nach ersten Berichten stehen die Bewohner der Hauptstadt unter Schock. Viele schreien: „Jesus, Jesus“. Haiti hat rund zehn Millionen Einwohner und gilt als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Die Hälfte der Bevölkerung muss mit weniger als einem US-Dollar (etwa 0,7 Euro) pro Tag auskommen. Die EKD-Ratsvorsitzende, Landebischöfin Margot Käßmann (Hannover), zeigte sich tief erschüttert. Sie bete für die vielen Menschen, die von Leid, Zerstörung und dem Verlust von Menschen betroffen seien. Käßmann: „Es ist ein Tragödie, dass diese Katastrophe eines der ärmsten Länder dieser Erde trifft.“ Die Ratsvorsitzende ruft dazu auf, die Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. Papst Benedikt XVI. rief die Völkergemeinschaft zu großzügiger Hilfe auf. Der Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), Olav Fykse Tveit (Genf), hob hervor, dass die vom Erdbeben heimgesuchten Haitianer ohnehin schon schwere Lasten politischer Instabilität und Armut getragen hätten. Der Internationale Direktor der Weltweiten Evangelischen Allianz, Geoff Tunnicliffe (Markham/Kanada), rief alle Christen zum Gebet für Haiti auf. Ganz besonders brauchten die christlichen Gemeinden Fürbitte. Sie müssten sich um die geistlichen, seelischen und materiellen Bedürfnisse von Hunderttausenden kümmern. Der Generalsekretär der Evangelischen Allianz in der Karibik, Bischof Gerald A. Seale (Barbados), erklärte, die sozialen und materiellen Fortschritte, die Haiti in den letzten Jahren erlebt habe, seien durch das Erdbeben zunichte gemacht. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Jürgen Werth (Wetzlar), zeigte sich erschüttert: „Wer immer helfen kann, soll bitte unbedingt helfen! Mit Spenden und Gebeten.“

Bisheriger Stand: Deutsche Helfer unversehrt

Ersten Berichten zufolge sind Mitarbeiter deutscher Hilfswerke in Haiti nicht zu Schaden gekommen. Das teilte zum Beispiel der Leiter des Personalvermittlungsdienstes „Christliche Fachkräfte International“ (CFI), Ulrich Weinhold (Stuttgart), mit. Schwierig sei die Lage bei befreundeten Werken in der Nähe von Port-au-Prince. Mittelfristige Hilfe seien in der christlichen Radiostationen, Ausbildungsstätten und Hospitälern erst dann denkbar, wenn eine gewisse Infrastruktur gewährleistet sei. Zunächst könne man vor allem finanziell helfen. Mehrere ehemalige Haiti-Mitarbeiter von CFI hätten angeboten, in ihr Einsatzland zurückzukehren. Weinhold mahnte, die geistliche Dimension des Erdbeben ernst zu nehmen. In dem stark vom Voodoo-Kult geprägten Haiti hätten die Erdstöße auch Erschütterungen in den Seelen hinterlassen. Es überrasche nicht, dass die Menschen laut nach Jesus riefen. Während der Allianz-Gebetswoche, die noch bis zum 17. Januar dauert, solle man unbedingt für die Betroffenen vor Gott eintreten, so Weinhold. CFI und die Organisation „Hilfe für Brüder“ (Stuttgart) sind seit über 20 Jahren in Haiti tätig.

Heilsarmee: Kinderheim zerstört

Nach Angaben der Heilsarmee in dem Karibikstaat sind mehrere Gebäude der sozial und evangelistisch wirkenden Freikirche zerstört, darunter ein Kinderheim. Bis auf ein Kind seien aber alle 52 Jungen und Mädchen in Sicherheit. Die Heilsarmee, die seit 1887 in Haiti tätig ist, organisiert von den USA aus Katastrophenhilfe. So werde 285.000 Mahlzeiten zur Verfügung gestellt. Die Heilsarmee ist in Haiti auch Partner der Kindernothilfe (Duisburg). Neben dem Kinderheim sollen zwei gemeinsam geförderte Schulen von dem Beben betroffen sein. Es gebe auch noch kein Lebenszeichen von zwei Mitarbeitern des Kindernothilfe-Büros in Port-au-Prince. Die Kindernothilfe hat eine Kooperation mit dem christlichen Hilfswerk humedica (Kaufbeuren) vereinbart. Es hat ein Team aus vier Ärzten, einer Krankenschwester, einem Pfleger sowie zwei Koordinatoren nach Haiti entsandt. Mit ihrer Ausrüstung können sie bis zu 3.000 Patienten erstversorgen.

Blinde haben es besonders schwer

Auch die Christoffel-Blindenmission (CBM) hat zwei Experten nach Haiti entsandt, um die Nothilfe mit den Projektpartnern vor Ort zu koordinieren. Dort habe es mehrere Todesfälle gegeben, teilt die CBM-Zentrale in Bensheim bei Darmstadt mit. Allein in Port-au-Prince fördert die CBM fünf Projekte, darunter ein Kinderkrankenhaus mit augenmedizinischer Abteilung. Menschen mit Behinderungen sind einer solchen Katastrophe besonders ausgeliefert, so CBM-Direktor Rainer Brockhaus. Selbst wenn ein blinder Mensch sich ins Freie retten konnte, brauche er Hilfe, um an Wasser oder Nahrung zu kommen. In den CBM-Projekten in der Hauptstadt betreuen 57 einheimische Mitarbeiter fast 2.000 Menschen mit Behinderungen und pro Jahr etwa 140.000 Patienten in Krankenhäusern.

Schwerstes Erdbeben seit 1770

Es handelte sich um das schwerste Erdbeben in Haiti seit 1770. Immer wieder wird das Land von Naturkatastrophen heimgesucht. Zuletzt forderten im September 2008 Wirbelstürme mehr als 600 Todesopfer. Tausende Menschen wurden obdachlos. Etwa 55 Prozent der 10 Millionen Einwohner Haitis sind laut einer Zählung der Vereinten Nationen katholisch, 15 Prozent Baptisten, 8 Prozent Pfingstler, 3 Prozent Adventisten, 1,5 Prozent Methodisten und 0,7 Prozent Anglikaner. Den Rest bilden unter anderen Anhänger von Voodoo-Kulten.