20. Mai 2022

Mehr Neuseeland wagen

Quelle: jungefreiheit.de

Neuseeland, Foto: pixabay CC0 1738274

von Henning Lindhoff

Im August 1958 warnte der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard in der Zeit vor einem Umverteilungsstaat, der das Potential des Individuums gefährdet. Er schrieb: „Jeder ist seines Glückes Schmied. Es herrscht die individuelle Freiheit und dies um so mehr, je weniger sich der Staat anmaßt, den einzelnen Staatsbürger zu gängeln oder sich zu seinem Schutzherren aufspielen zu wollen. Solche ‘Wohltat’ muß das Volk immer teuer bezahlen, weil kein Staat seinen Bürgern mehr geben kann, als er ihnen vorher abgenommen hat – und das noch abzüglich der Kosten einer zwangsläufig immer mehr zum Selbstzweck ausartenden Sozialbürokratie. Nichts ist darum in der Regel unsozialer als der sogenannte ‘Wohlfahrtsstaat’, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken läßt.“

60 Jahre später läuft die Umverteilungsmaschinerie auf Hochtouren. Staatliche „Wohltaten“ und der dazu notwendige Verwaltungsapparat kosten die deutschen Steuerzahler mittlerweile 54 Prozent ihres Jahreseinkommens. 54,3 Cent eines jeden verdienten Euros müssen sie in diesem Jahr an den Staat abführen. Zu Erhards Zeiten war die Steuer- und Sozialabgabequote nur etwa halb so hoch und er befand, daß diese „hohe Quote“ unbedingt gesenkt werden müsse.

Jährlich 150.000 Bürger kommen in den Spitzensteuersatz

Doch davon sind wir weiter entfernt als je zuvor. Besonders perfide: Selbst Durchschnittsverdiener kommen heute gefährlich nahe an den Spitzensteuersatz von 42 Prozent heran. Jedes Jahr rutschen etwa 150.000 weitere deutsche Steuerzahler über diese Schwelle. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums werden für 2018 knapp drei Millionen Bürger den Spitzensteuersatz zahlen müssen. 2017 waren es 2,85 Millionen, im Jahr davor 2,69 Millionen.

Der Gesetzgeber arbeitet damit ganz offensichtlich gegen seinen ursprünglichen Auftrag. Er steht in der Verantwortung, eine für jeden ersichtliche Steuergerechtigkeit herzustellen. Von den heutigen Spitzensteuersätzen läßt sich diese jedoch keinesfalls behaupten.

Was ist das für ein Staat, in dem der durchschnittliche Leistungsträger nicht einmal die Hälfte seines Einkommens behalten darf?

Neuseeland halbierte Steuersätze und boomte

Dabei haben solch illegitim hohen Steuern nicht nur fatale Auswirkungen auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Langfristig schweben die Steuereinnahmen des Staates in Gefahr und damit auch seine Handlungsmöglichkeiten.

Wer mehr als die Hälfte seiner Einnahmen abführen muß, verliert den Anreiz, Geld durch das Schaffen neuer Werte zu verdienen. Je mehr Leistungsträger zu dieser Erkenntnis gelangen, desto stärker wird die Lähmung auf betriebs- wie volkswirtschaftlicher Ebene. Viel Spielraum hat der deutsche Fiskus also nicht, um seine Einnahmen noch weiter zu erhöhen – ein wenig erquickender Gedanke angesichts der steigenden Staatsverschuldung.

Das kleine Neuseeland ging im Jahr 1984 mit positivem Beispiel voran und halbierte seine Steuersätze. Dies und das radikale Streichen von Subventionen führte zu einem kaum vorstellbaren Produktionsschub. Der Ökonom Roger Kerr lieferte damals die Blaupausen und legt heute Wert darauf, daß er nichts anderes getan habe, als Ludwig Erhard zu studieren. Er habe lediglich die Soziale Marktwirtschaft Erhards umgesetzt. Kerr stellte fest: „Es ist dabei völlig unwichtig, ob das Land groß oder klein ist – es kommt darauf an, wie viel Erhard es verwirklicht.“ Daran sollte sich auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz erinnern.