28. Juli 2021

Es gibt keine Kollektivschuld

Quelle: jungefreiheit.de

Nürnberger Prozesse 1946: Jetzt sitzt ein „Tätervolk“ auf der Anklagebank Foto: Wikipedia/Bundesarchiv

Von Klaus Motschmann
 

Nach einem bekannten Diktum zum Verständnis kontroverser politischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen wird die Geschichte immer von den Siegern geschrieben; selbstverständlich immer auch nach deren politischer Interessenlage und den vorherrschenden ideologischen Grundpositionen.

In Deutschland verhält es sich nach 65 Jahren Vergangenheitsbewältigung und 40 Jahren Kulturrevolution inzwischen genau umgekehrt. Die Geschichte wird hier gewissermaßen von den Besiegten geschrieben; selbstverständlich ebenfalls nach Maßgabe der genannten politischen und ideologischen Interessen der ehemaligen Sieger.

Politisch sterile Frage nach der Schuld in der Vergangenheit

Der Nestor der deutschen politischen Soziologie, Max Weber, hat kurz vor seinem Tod 1920 mit Blick auf die sogenannte Kriegsschuldlüge nach dem Ersten Weltkrieg vor einer derartigen Fixierung auf Schuldzuweisungen und Schuldbekenntnisse an hervorragender Stelle gewarnt: „Anstatt sich um das zu kümmern, was den Politiker angeht, die Zukunft und die Verantwortung vor ihr, befaßt sie sich mit politisch sterilen, weil unaustragbaren Fragen der Schuld in der Vergangenheit. Dies zu tun, ist politische Schuld, wenn es irgendeine gibt.“

Man ist zur Stützung dieser Aussagen nicht auf Randbemerkungen dritter oder vierter Hand angewiesen. Man kann sich auf Schlüsselaussagen der ehemaligen Feindmächte berufen, zum Beispiel auf den amerikanischen Hauptankläger Robert Jackson anläßlich der Eröffnung des Nürnberger Prozesses 1945: „Wir möchten klarstellen, daß wir nicht beabsichtigen das deutsche Volk zu beschuldigen. Wenn die breite Masse des deutschen Volkes das nationalsozialistische Programm willig angenommen hätte, wäre die SA nicht nötig gewesen, und man hätte auch keine Konzentrationslager und keine Gestapo gebraucht.“

„Lächerlich, die Hitler-Clique mit dem deutschen Volk gleichzusetzen“

Ähnlich hatte sich bereits während des Krieges Stalin geäußert. Er erklärte, daß das deutsche Volk nicht für die Verbrechen der „Nazi-Clique“ verantwortlich gemacht werden sollte. In seinem früher viel zitierten Tagesbefehl vom 23. Februar 1942 (dem Gründungstag der Roten Armee im Jahr 1918) betonte er das Kriegsziel, daß die Rote Armee keinen Krieg gegen das deutsche Volk und zur Vernichtung des deutschen Staates führe:

„Das ist natürlich ein dummes Gefasel und eine törichte Verleumdung der Roten Armee. Solche idiotischen Ziele hat die Rote Armee nicht und kann sie nicht haben. (…) Es wäre lächerlich, die Hitler-Clique mit dem deutschen Volk und dem deutschen Staat gleichzusetzen. Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt“ (Werke 14,266).