24. Mai 2022

Maas macht mobil

Quelle: jungefreiheit.de

von Henning Hoffgaard

Der Stammtisch muß leider ausfallen. Erst vor wenigen Stunden wurde der Wirt aufgefordert, künftig die regelmäßigen Treffen seiner Stammgäste genau zu protokollieren. Name, Alter, Adresse. Zudem wird das gesamte Gespräch aufgezeichnet und zur Überprüfung an die zuständigen Behörden weitergeleitet. Nun hat der Wirt natürlich auch anderes zu tun, als seine Gäste zu bespitzeln. Also gibt es keinen Stammtisch mehr. Klingt wie nach einem unglaubwürdigen Abklatsch eines Romans von George Orwell, oder?

Eigentlich völlig unglaubwürdig. Aber eben nur eigentlich. Bundesjustizminister Heiko Maas hat fast genau das mit Facebook vor. Der geltungsbedürftige SPD-Politiker drängte in der vergangenen Woche das soziale Netzwerk zu eben solchen Schritten. Natürlich in anderen Worten. Maas möchte mit den Facebook-Verantwortlichen ein Gespräch führen, „um Möglichkeiten zu erörtern, die Effektivität und Transparenz ihrer Gemeinschaftsstandards zu verbessern“.

Die deutsche Hybris schlägt Purzelbäume

Ein deutscher Minister, der mit einem sozialen Netzwerk, dem weltweit mehr als eine Milliarde Menschen angehören, über dessen Regeln sprechen will. Da vollführt die Hybris glatt Purzelbäume. Merkwürdig ist vor allem die Begründung. Neben strafrechtlich relevanten Äußerungen geht es um „Internetnutzer, die Fremdenfeindlichkeit und Rassismus offensiv propagieren“. Dort dürfe es keine „falsch verstandene Toleranz geben“.

Maas muß sich schon entscheiden. Geht es nun um justitiable Äußerungen oder um „Fremdenfeindlichkeit“? Der Minister beläßt dies im vagen. Er will Facebook mittels einer zufälligen Aneinanderreihung von Schlagwörtern aus dem Lexikon der Halb- und Binsenwahrheiten dazu bringen, die „Gemeinschaftsstandards“ durch „Gesinnungsstandards“ zu ersetzen.

Auch Österreich will mitmachen

In Wirklichkeit kooperiert Facebook bei strafrechtlich Relevantem schon längst mit den Behörden. So wurde jüngst ein Berliner, der in dem Netzwerk gefordert hatte, Asylbewerber in Gaskammern zu stecken, zu einer Geldstrafe von 4.300 Euro verurteilt. Woher der Wind wirklich weht, machte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck klar. Dem geht es um „massive Beleidigungen gegen Gruppen und Einzelpersonen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“.

Unterstützung bekommt „Big Brother“ Maas dazu noch vom kleinen Bruder aus Österreich. Justizminister Wolfgang Brandstetter will am liebsten auch an dem vom Maas geforderten Gespräch teilnehmen.

Echo gegen islamistische Propaganda blieb aus

Die Debatte ist typisch deutsch. Privatfirmen sollen den Kotau vor Regeln machen, die sich so nicht einmal in den Gesetzen wiederfinden. Für einen Amerikaner ist das kaum verständlich. In den Vereinigten Staaten ist die Einschränkung der Meinungsfreiheit schon durch die Verfassung verboten. Ein amerikanischer Justizminister, der seinen Bürgern vorschreiben würde, wie sie sich im Internet zu verhalten haben, wäre seinen Posten ziemlich schnell los.

In Deutschland dagegen gibt es für solche Phantasien noch Applaus. Die Vorstöße, Facebook allzu deutsche Vorstellungen von Meinungsfreiheit aufzuzwingen, sind übrigens keineswegs neu. Bereits mehrfach forderte die Bundesregierung das Netzwerk auf, stärker gegen islamistische Propaganda vorzugehen. Das Echo blieb allerdings aus.

Vergessen der Skandal um die Internetplattform Netzpolitik

Bei der Asylkrise ist das anders. Im Kielwasser einer emotional aufgeputschten Diskussion versucht das Justizministerium das durchzudrücken, was bei den Themen Urheberrechte, Terrorismus und Stalking nicht gelang. Damals scheiterte das ganze an genau denselben linken „Internetaktivisten“, die heute plötzlich kein Problem mit mehr staatlicher Einmischung haben.

Vergessen ist der Skandal um die Internetplattform Netzpolitik.org, die öffentlich gemacht hatte, daß der Verfassungsschutz mehr Geld für die Bespitzelung der sozialen Netzwerke bekommen soll. All das zählt nun nicht mehr. Facebook hat sich gefälligst unterzuordnen. Heerscharen von linken Denunzianten, die schon jetzt auf eigene Faust das Internet durchstöbern, Arbeitgeber bedrängen und virtuelle Hetzkampagnen organisieren, warten nur darauf, nun auch vom Justizminister grünes Licht zu bekommen.

Jeder steht schnell unter Rechtfertigungszwang

Und eines darf dabei nie vergessen werden: Es ist ein Kinderspiel, gefälschte Bildschirmfotos von vermeintlichen Facebook-Einträgen zu erstellen. Geht es nach Maaß, müßten in solchen Fällen dann künftig sofort die Nutzerdaten herausgegeben werden, damit die Ermittlungsbehörden prüfen können, ob die in Umlauf gebrachten Bilder echt sind. Name, Alter und Adresse finden sich so plötzlich in einer Polizeiakte. So schnell steht jeder unter Rechtfertigungszwang. Fast jeder zumindest.

Linksextremisten stehen nicht im Visier des Justizministers. Klar, die haben ja nichts gegen Menschen. Nur gegen „Sachen“. Da ist es zu verkraften, daß die linke Szene in Hamburg auf ihrer Facebook-Seite fordert: „Hamburg wird rechtsfrei. Hetzjagd auf Nazis am 12. September!“ Zwei Tage später will sich Maas dann mit den Facebook-Verantwortlichen treffen, um über „Gemeinschaftsstandards“ zu reden. Das nennt man wohl Prioritätensetzung …

Jeder, der dem rückgratlosen SPD-Populisten nun eifrig Beifall zollt, sollte sich genau überlegen, ob es am Ende bei der Löschung von ein paar rüden Facebook-Einträgen bleibt. Hat der Staat einmal den Fuß in der Tür der sozialen Netzwerke, wird er ihn nicht mehr herausnehmen. Für die unbeobachtete Kommunikation bleibt dann irgendwann tatsächlich nur noch der Stammtisch. Zumindest, bis sich auch dafür ein übereifriger Minister interessiert.

JF 37/15