22. Januar 2022

Kirchenblues

Quelle: www.zum-leben.de

Pfarrer Dr. Theo Lehmann – Foto: Thomas Schneider

von Pfarrer Dr. Theo Lehmann

DDR-Zeit. Von der FDJ-Gruppe der Hochschule in Karl-Marx-Stadt wurde ich eingeladen, einen Vortrag über Blues zu halten. Das kam daher, das ich – obwohl Pfarrer – das erste Buch über Blues in der DDR veröffentlicht hatte. Als ich zum Vortrag erschien, stellte sich heraus, dass er „leider nicht stattinden könne“. Der vorgesehene Hörsaal war nicht zugänglich, weil er justament an diesem Abend ausgeräumt war, um neu gestrichen zu werden. Das ergab ein Nachspiel – zwei Vertreter des Zentralrates der FDJ kamen aus Berlin angereist, um die Sache zu klären. Ich bekam das volle Honorar für den nicht gehaltenen Vortrag, der auch nicht zu einem anderen Termin in einem anderen Raum nachgeholt wurde.

35 Jahre später lud mich der Chemnitzer Jugendpfarrer ein, als Zeitzeuge über meine Erlebnisse als Pfarrer in der DDR den Jugendlichen zu erzählen. Als Termin wurde der 14. September 2012 vereinbart. In diesem Vortrag wollte ich u.a. über meinen oben geschilderten Rausschmiss erzählen, als Beispiel dafür, wie man damals unerwünschte Personen und Meinungen ausschaltete. Man nannte nicht den wahren Grund, – ein Pfarrer sollte nicht in der Hochschule auftreten – sondern schob einen äußerlichen Grund vor: „kein Raum frei“. Nun hatte ich mich aber inzwischen gegen den Beschluss von Kirchenleitung und Synode gewandt, dass homosexuelle Paare unter bestimmten Bedingungen ins Pfarrhaus einziehen könnten, und hatte die Frage nach der Gültigkeit von Gottes Wort gestellt. Der zuständige Superintendent hatte darauf hin seine Pfarrerschaft aufgefordert, für unsereinen keine kirchlichen Räume mehr zur Verfügung zu stellen. Und siehe da, also bald bekam ich einen Brief vom Veranstalter, es sei am 14.09. kein Mitarbeiter da, der die Jugendkirche aufschließen usw. könnte, weshalb der Vortrag „leider nicht stattinden könne“.

Wie sich die Vorgänge doch gleichen! Einziger Unterschied: Damals war’s die Stasi, heute die Kirche. Da muss man ja, wenn man nicht das große Kotzen kriegt, den Blues kriegen, … den Kirchenblues!

Aus „Zum Leben“ – Zeitschrift der Sächsischen Israelfreunde e. V. (4/2012)