26. Mai 2022

Kritik am Staatsvertrag mit Muslimen

Quelle: idea.de

Der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Pastor Ulrich Rüß. Foto: PR

Auf Kritik theologisch konservativer Protestanten ist der geplante Staatsvertrag des Hamburger Senats mit den drei größten muslimischen Verbänden sowie der alevitischen Gemeinde gestoßen. Kritisch äußerten sich der Vorsitzenden der Konferenz Bekennender Gemeinschaften, Pastor Ulrich Rüß (Foto), und die Evangelische Allianz Hamburg.

Hamburg (idea) – Auf Kritik theologisch konservativer Protestanten ist der geplante Staatsvertrag des Hamburger Senats mit den drei größten muslimischen Verbänden sowie der alevitischen Gemeinde der Freien und Hansestadt gestoßen. Der Vertragsentwurf, der am 14. August vorgestellt wurde, regelt unter anderem einen gemeinsamen Religionsunterricht von evangelischen, muslimischen und alevitischen Kindern sowie die Gleichstellung islamischer Feiertage mit den christlichen. So brauchen muslimische Schüler an bis zu drei Tagen – beispielsweise am Ramadan- oder Opferfest – nicht in die Schule zu kommen. Arbeitnehmer dürfen sich an diesen Tagen freinehmen; die Zeit müssen sie allerdings nacharbeiten. Eine ähnliche Regelung gibt es bereits für nicht-gesetzliche kirchliche Feiertage, wie etwa den Buß- und Bettag. Wie der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg), auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea sagte, sei es zwar wünschenswert, dass sich 130.000 Muslime und Aleviten als Bürger in Hamburg mit gleichen Rechten und Pflichten in Bindung an die Verfassung verstehen können. Schließlich habe der Staat ein Interesse daran, einen verfassungskonformen, liberalen Islam zu fördern, um so eine Abgrenzung zum weltweiten Islamismus und politisierenden Islam deutlich zu machen. Allerdings sei ein gemeinsamer Religionsunterricht von evangelischen und muslimischen wie alevitischen Kindern dafür nicht der richtige Weg. Kritik übte Rüß vor allem daran, dass der „Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung“ – so der offizielle Name des Hamburger Modells – künftig gemeinsam mit muslimischen und alevitischen staatlich examinierten Lehrern durchgeführt werden soll.

Rüß: Stellungnahme der Nordkirche „völlig unverständlich“

Denn schon jetzt sei die Lage des Religionsunterrichts desolat: „Gegenwärtig wird der evangelische Religionsunterricht in Hamburg faktisch weitgehend nicht erteilt, obwohl er nach dem Gesetz verpflichtend und ordentliches Lehrfach ist“, so Rüß. Die christlichen Glaubensgrundlagen würden nur unzureichend vermittelt. Dabei sei ihre Kenntnis gerade in Zeiten des interreligiösen Dialogs von zunehmender Bedeutung. Rüß ist auch Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Er bezeichnete es als „völlig unverständlich“, dass die Nordkirche den geplanten Staatsvertrag begrüßt. Dies sei „das Gegenteil von souveränem Auftreten“. Die notwendige Förderung des interreligiösen Dialogs und das gute Einvernehmen mit Muslimen dürfe nicht zur Relativierung des christlichen Glaubens und der Preisgabe des christlichen Religionsunterrichtes führen. Rüß: „Im Gegenteil: Ein möglicher islamischer Religionsunterricht bedarf eines vertieften, in die Glaubensgrundlagen einführenden christlichen Religionsunterrichtes.“ Hier sollte die Nordkirche genauso handeln wie die katholische Kirche, die an ihrem Religionsunterricht festhält, so der Theologe.

Bedrängten Christen in islamischen Ländern beistehen

Rüß erwartet zudem, dass Muslime und Christen in diesem Zusammenhang gleichermaßen auf jene vom Islam geprägten Länder hinwiesen, in denen Christen benachteiligt und verfolgt würden: „Wenn hier islamische Feiertage anerkannt und Moscheen gebaut werden dürfen, ist der Verweis auf jene islamischen Länder geboten, wo weder christliche Theologen ausgebildet noch christliche Gotteshäuser errichtet werden dürfen. Dies sind wir den verfolgten Christen schuldig.“

Evangelische Allianz: Wie profiliert darf unterrichtet werden?

Auch die Evangelische Allianz Hamburg zeigte sich hinsichtlich des geplanten Staatsvertrages skeptisch. Wie ihr Sprecher Detlef Pieper gegenüber idea sagte, trete die dortige Allianz mit der Initiative „Gemeinsam für Hamburg“ grundsätzlich für den hohen Wert der Religionsfreiheit ein. Dazu gehöre selbstverständlich der Bau von Gemeindehäusern sowie das Recht auf religiöse Feiertage und Religionsunterricht. Spannend werde es allerdings bei der Umsetzung des geplanten gemeinsamen Religionsunterrichts von evangelischen und muslimischen Kindern. Pieper: „Wie profiliert darf unterrichtet werden? Was geschieht, wenn christlich geprägte Kinder sich dem Islam öffnen und wenn muslimische Kinder sich christlich taufen lassen möchten?“ Gerade hier werde sich zeigen, ob die geschlossenen Verträge sowohl Rechte als auch Pflichten der einzelnen Religionsgemeinschaften fördern und einfordern. Das Recht des Einzelnen, seine Religion frei zu wählen oder zu konvertieren, sei Bestandteil von Artikel 4 des Grundgesetzes und ein elementarer Wert des christlichen Glaubens. „Daran wird sich das gute Miteinander in unserer multireligiösen Stadt messen lassen müssen“, so Pieper.

Kritik von CDU und FDP

Verhandlungspartner des Senats waren die drei größten muslimischen Vereine: Schura (Rat der islamischen Gemeinschaften), Türkisch-Islamische Union (DITIB) und Verband der Islamischen Kulturzentren. Vierter Partner ist die alevitische Gemeinschaft mit rund 30.000 Mitgliedern. Noch in diesem Herbst soll der Vertrag in der Bürgerschaft beraten und beschlossen werden. In CDU und FDP stoßen die ausgehandelten Verträge allerdings auf Kritik. CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich bemängelte, dass der Vertrag kein Verbot für Lehrerinnen und Polizistinnen enthalte, ein Kopftuch zu tragen. „Wir lehnen das Tragen derartiger religiöser Symbole bei diesen Berufsgruppen ab, weil wir die staatliche Neutralität für unverzichtbar halten“, sagte der CDU-Politiker, der das Bekenntnis zu Respekt und Toleranz in den Verträgen hingegen lobte. Deutlicher distanzierte sich die FDP von dem Vertragsentwurf. „Längst sind Lebensumstände der Hamburger muslimischen Glaubens und deren Verhältnis zu Stadt und Staat geregelt“, wird die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels zitiert. Ein Staatsvertrag sei daher unnötig, „erst recht, weil seine Veränderung oder Kündigung kaum möglich ist“.