9. Mai 2021

Steckt die charismatische Bewegung in einer Krise?

Quelle: idea.de

Zwei Theologen nehmen kontrovers zur charismatischen Bewegung Stellung. Foto: PR

Steckt die in den 1960er Jahren entstandene charismatische Bewegung in einer Krise? Zu dieser Frage beziehen zwei Theologen in Beiträgen für die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) kontrovers Stellung. Anlass ist das bevorstehende Pfingstfest, bei dem die Ausgießung des Heiligen Geistes gefeiert wird. Die charismatische Bewegung betont die Wirkungen dieses Geistes.

Wetzlar (idea) – Der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), Pfarrer Reinhard Hempelmann (Berlin), bejaht die Frage. Die charismatische Bewegung habe in der evangelische Kirche an Dynamik eingebüßt. In ihrer Anfangszeit sei sie deutlich wirksamer gewesen: „Ebenso mit dem Versuch, charismatische Erfahrungen in theologisch angemessener Weise zu reflektieren.“ Heute spielten Impulse der charismatischen Bewegung in der EKD kaum eine Rolle. Die (charismatische) Geistliche Gemeinde-Erneuerung (GGE) trete auch nicht mit resonanzstarken eigenen Medien in Erscheinung.

Hempelmann: Diffuses Erscheinungsbild

Zudem habe die neocharismatische Bewegung das Erscheinungsbild dessen, „was charismatisch genannt wird, unübersichtlich und diffus werden lassen“. Hempelmann: „Verstand sich die charismatische Bewegung einst als ‚Therapieangebot‘ für die Krise der Kirche in der Krise der Moderne, zeigt sich heute: Sie hat teil an dieser Krise, die nicht allein eine Mitglieder- oder Finanzkrise, sondern auch eine Orientierungs- und Identitätskrise ist.“ Der Theologe empfiehlt der charismatischen Bewegung, „den eigenen Weg jenseits erlebnisorientierter und zugleich zeitgeistkonformer Trends zu suchen“. Das Anliegen einer geistlichen Erneuerung der Kirche sei wichtig. Die Bitte um das Kommen des Geistes und die Erneuerung der Kirche gehörten zusammen.

Dobers: Geistliche Erneuerung ist ein Marathonlauf

Anderer Meinung als Hempelmann ist der GGE-Vorsitzende, Pfarrer Henning Dobers (Hannoversch Münden). Nach seinen Worten gibt es nicht „die“ charismatische Bewegung. Man müsse unterscheiden zwischen innerkirchlichen Erneuerungsbewegungen und freien charismatischen Gemeinden und Bewegungen. Die Erneuerungsbewegungen in der Kirche befänden sich in einem Umbruch, aber nicht in einer Krise. Dobers sieht positive Wirkungen: „Frühere innerchristliche Grabenkämpfe sind überwunden, und eine geistgewirkte Einheit zwischen Konfessionen wird immer normaler.“ Eine „Haltung und Kultur des Lobpreises“ habe in vielen Gemeinden Einzug gehalten. Zunehmend Verbreitung fänden etwa auch „verantwortliches Gebet für Kranke“, Segnungsgottesdienste und eine „seriöse geistlich-theologische Beschäftigung mit ganz Israel“. Doch eines stehe noch aus: „Eine geistlich erneuerte Theologie und Kirche, die mutig von falschen Wegen umkehrt und sich dem Wirken des Heiligen Geistes öffnet.“ Dies empfindet Dobers „aber nicht als Krise, sondern als bleibenden Auftrag charismatischer Bewegungen“. Erneuerung sei sei „kein Sprint, sondern ein Marathonlauf – wahrscheinlich über Generationen hinweg“.