26. Mai 2022

Kaum Unterschiede zwischen Katholiken- und Kirchentag

Quelle: idea.de

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EIN KOMMENTAR VON KARSTEN HUHN

Journalisten, so heißt es, schmeckt nur die Suppe, in die sie zuvor gespuckt haben. Deshalb ist hier eine Vorbemerkung nötig: Der Katholikentag war sonnig, bunt und fröhlich. Und ich wünsche den Katholiken den Aufbruch von Herzen. Nur: Ich sehe ihn nicht.

Denn beim Katholikentag in Mannheim geriet alles zum Aufbruch: Aufgebrochen wurde in die Nachhaltigkeit und in ein langes Leben, zur christlich-muslimischen Partnerschaft und in eine gerechtere Gesellschaft. Alle packen die Koffer, nur wohin die Reise geht, bleibt unklar. Es war ein Aufbruch in alle Richtungen, zu allem und zu nichts. Passend dazu wurden auch die Lieder zum Katholikentag auf Aufbruch getrimmt. Kostprobe: „Wag den Aufbruch mit mir / wag einen Aufbruch mit mir! Wag den Aufbruch mit mir / den Aufbruch jetzt und hier!“ So viel Aufbruch war nie, möchte man da rufen! Man kann sich kaum vorstellen, dass solche Lieder künftig in den Gottesdiensten gesungen werden. Sie erinnern mich an die Aufbruchs-Lyrik meiner Kindheit mit Parolen wie „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“, wie sie die DDR-Führung proklamierte.

Die Konflikte bleiben

Denn natürlich schwelen die Konflikte in der katholischen Kirche auch nach dem Katholikentag weiter. Ein großer Teil der Katholikentags-Basis fordert die Priesterweihe für Frauen. Das Pflichtzölibat sollte abgeschafft werden und eine gemeinsame Eucharistie-Feier mit Protestanten wäre wünschenswert. Weil alle diese Fragen aber nicht von der Deutschen Bischofskonferenz entschieden werden, sondern in Rom, halten die deutschen Bischöfe mehr oder weniger offensiv dagegen. Manche, wie der Kölner Kardinal Joachim Meisner nahmen am Katholikentag gar nicht erst teil. Ihm fehle die katholische Mitte, erklärte er. Man könne die Sendung der Kirche „nicht dadurch bewahren, dass wir die Inhalte etwas billiger machen“ – eine Kritik, die vom Veranstalter umgehend zurückgewiesen wurde.

Aufbruch oder Auszehrung?

In den letzten 20 Jahren hat die katholische Kirche 50% ihrer Gottesdienstbesucher verloren und 58% weniger Taufen vollzogen – steckt also wie die evangelische Kirche, bei der die Zahlen nicht viel anders aussehen, mitten in der Krise. Beschönigen hilft nicht: Statt eines Aufbruchs gibt es eine anhaltende Auszehrung. Doch als Faustformel scheint zu gelten: Je größer die Krise, umso lauter muss zum Aufbruch geblasen werden. Nachdem die EKD sich bereits 2006 zur „Kirche im Aufbruch“ erklärte, haben die Katholiken nun nachgezogen. Inzwischen sind Katholikentag und Kirchentag kaum noch unterscheidbar. Beide bieten eine überwältigende Auswahl an Podien, Konzerten, Theaterstücken, Filmen und Ausstellungen. Bei beiden sind die meisten Teilnehmer an ihren farbigen Halstüchern erkennbar. Beide Großveranstaltungen decken alle nur denkbaren gesellschaftlichen Themen ab und sind ein Marktplatz für Politiker aller Parteien. Und auf beiden kommen die Vertreter der jeweils anderen Kirche zu Wort. Eigentlich könnten Kirchen- und Katholikentag also fusionieren. Nach dem ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin und dem zweiten 2010 in München soll ein weiteres gemeinsames Treffen allerdings erst 2019 stattfinden; der Ort dafür steht noch nicht fest.

Weniger Quatsch als beim Kirchentag

Was Kirchen- und Katholikentag noch unterscheidet? Zum einen die Größe: Beim Kirchentag in Dresden nahmen 110.000 Dauergäste teil, beim Katholikentag in Mannheim waren es 33.000. Zum anderen wird am Programm des Katholikentages deutlich, dass die Deutsche Bischofskonferenz mitentscheidet: Während der Kirchentag neben vielen guten auch zahlreiche dubiose Angebote unterbreitet, gibt es beim Katholikentag deutlich weniger Quatsch. Ähnlich schätzt das der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, ein. In einem Interview mit dem „Mannheimer Morgen“ sagte er: „Ich habe den Eindruck, dass der Kirchentag mehr irritierende, unkonventionelle Veranstaltungen zulässt. Katholikentage sind doch stärker auf die Lehre der Kirche bezogen. Bei uns haben die Trägergruppen eine große Freiheit.“

Eine Protestantin als Publikumsmagnet

Wer war der Publikumsmagnet? In Dresden wie in Mannheim begeisterte die A-capella-Gruppe Wise Guys mehr als 20.000 Zuhörer. Beim Kirchentag füllt Margot Käßmann mühelos die größten Hallen. Vergleichbare Anziehungskraft hat derzeit bei den Katholiken keiner. So war der Star des Katholikentages eine Protestantin: Bundeskanzlerin Angela Merkel. 2.000 Menschen wollten die Regierungschefin einmal aus der Nähe sehen. Bereits eine halbe Stunde vor Beginn war der Saal gefüllt, zur Begrüßung applaudierten die Besucher im Stehen. Mit einer ausgewogenen Rede über den demographischen Wandel punktete Merkel bei ihrer Stammwählerschaft. Merkel lobte die Ehrenamtlichen und dankte den Jungen wie den Alten. „Keine staatliche Stelle kann ersetzen, was Familien leisten“, sagte Merkel. Dazu zitierte sie eine Papst-Enzyklika sowie das Märchen der Gebrüder Grimm vom alten Großvater und seinem Enkel. Sie forderte dazu auf, Verantwortung füreinander wahrzunehmen, zeigte hier und da ein wenig Humor und ließ sich auch von Zwischenrufern nicht aus der Ruhe bringen, die ein Ende des Waffenhandels forderten. So holte sich die Bundeskanzlerin viel Beifall ab. Sie ist beliebt, selbst dann, wenn sie einen katholischen Minister vor die Tür setzt.

Die Krise der Verkündigung

Bemerkenswert war das sehr überschaubare Angebot an „biblischen Impulsen“ beim Katholikentag. Fast die Hälfte davon wurde von Protestanten bestritten. Bibelarbeiten haben beim Katholikentag nicht denselben Stellenwert wie beim Kirchentag. „Das Eigentliche ist die Messe“, erklärten mir Katholikentagsbesucher. Wie beim Kirchentag ist auch beim Katholikentag das Evangelium ein Angebot unter vielen. Da wo es zu hören war, blieb es oft verschwommen. Was besonders auffiel: Die altertümliche, entweltlichte, gegenwartsferne Sprache der Bischöfe, die abgestandenen Pathos-Formeln, die blasse Appell-Rhetorik. Man brauchte nur in die Gesichter der Zuhörer zu schauen: Vieles war eher ermüdend statt ermutigend, es klang zwar rechtgläubig, aber auch recht langweilig. Manchmal zweifelte man beim Zuhören: War das jetzt eine Predigt oder nicht doch eher ein Grußwort? Ein Beispiel aus der Abschlusspredigt: „Aufbruch hat immer mit Wagnis zu tun. Es ist ungewiss, was kommen wird. Wer sein gewärmtes Nest verlässt, der muss sich auf Unvorhergesehenes einstellen. Neu aufzubrechen ist damit ein Protest gegen jegliche Versicherungsmentalität, die sich in unserer Gesellschaft, aber auch in der Kirche, nur allzu gerne breit macht. Ja, es braucht den Mut, sich auf neue Wege einzulassen und nach vorne zu gehen! Wir haben allen Grund, dieses Wagnis einzugehen!“ Konkreter wurde es nicht. Danach war man als Hörer ratlos: Was sollen wir wagen? Welches Nest müssen wir verlassen? Welche Wege sollen eingeschlagen werden? Und wo ist vorne? Es war eine nebulöse, undurchführbare Handlungsanweisung. Wo also sind die katholischen Verkündiger, die begeistern? Wo sind die Prediger, die die Bibeltexte nicht nur verlesen, sondern auch auslegen und leuchten lassen? Die katholische Kirche mag derzeit viele Krisen zu bewältigen haben. Auch wenn das derzeit kaum diskutiert wird: Die Krise der Verkündigung gehört dazu.