29. Juni 2022

Das „Fanal von Zeitz“ jährt sich zum 35. Mal

Quelle: idea.de

Matthias Koeppel, "Die Selbstverbrennung des Oskar Brüsewitz" (1977)

Zeitz/Magdeburg/Leipzig (idea) – Es ist als das „Fanal von Zeitz“ in die Geschichte eingegangen: Aus Protest gegen die Kirchen- und Jugendpolitik der DDR verbrannte sich vor 35 Jahren der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz. Es geschah am 18. August 1976 vor der Michaeliskirche in Zeitz (Sachsen-Anhalt). Der Pfarrer hatte sich in seiner Dorfgemeinde in Rippicha immer wieder mit spektakulären Aktionen gegen die atheistische Propaganda der SED sowie gegen eine Anpassungsstrategie der evangelischen Kirche in der DDR gewandt.

So brachte er am Kirchturm ein weithin sichtbares leuchtendes Neon-Kreuz an. Als die Partei 1975 die Parole ausgab „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“, konterte Brüsewitz mit der Losung „Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott“. Dem Ministerium für Staatssicherheit war der missionarisch gesinnte Pfarrer ein Dorn im Auge. Es setzte Dutzende Inoffizielle Mitarbeiter (IM) –auch aus der Kirche – auf ihn an und lancierte Gerüchte, er sei geistesgestört. Nach seinem Fanal distanzierten sich diejenigen Kirchenleiter von ihm, die für eine „Kirche im Sozialismus“ eintraten. Manfred Stolpe, damals Oberkonsistorialrat in Berlin, fuhr mit Kirchenstaatssekretär Hans Seigewasser nach Magdeburg, um die Leitung der Kirchenprovinz Sachsen auf Solidarität mit dem Staat einzuschwören. Auf Geheiß von Staats- und Parteichef Erich Honecker sollte das Fanal totgeschwiegen werden. Letztlich ist es zwei Pfarrkollegen von Brüsewitz zu verdanken, dass die Welt doch davon erfuhr – einer von ihnen ist Klaus-Reiner Latk. Sie reisten nach Ost-Berlin und informierten zwei westliche Fernsehkorrespondenten über das Ereignis und die Hintergründe. Regimegegner in der DDR monierten, dass sich die evangelische Kirche nicht hinter den Pfarrer gestellt habe.

Brüsewitz-Zentrum: Kirche hat sich nicht für Fehlverhalten entschuldigt

Bis heute habe sich die Kirche für ihre verkehrte Zurückhaltung von damals nicht offiziell entschuldigt, kritisierte der Vorsitzende des Brüsewitz-Zentrums, Prof. Wolfgang Stock (Woltersdorf bei Berlin), gegenüber idea. Wenn es um Brüsewitz gehe, laviere die Kirche nach wie vor. Eine der wenigen Ausnahmen war bereits damals der Theologe und spätere SPD-Politiker Richard Schröder (Berlin). Er protestierte direkt nach der Selbstverbrennung in einer Predigt gegen staatliche Halbwahrheiten und Verleumdungen in der SED-Parteizeitung „Neues Deutschland“. Auch die 75 Pfarrer, die Brüsewitz am 26. August 1976 im Talar das letzte Geleit gaben, setzten damit ein Zeichen. Unter ihnen war der spätere Superintendent von Plauen, Thomas Küttler (Leipzig). Wie er auf idea-Anfrage sagte, sei es Brüsewitz’ bleibendes Verdienst, die „eingeschliffenen Mechanismen gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen Kirche und SED-Staat“ aufgebrochen zu haben. „Sein Flammentod war definitiv ein Einschnitt für die evangelische Kirche in der DDR“, so Küttler.

Heute gilt Brüsewitz als Wegbereiter der friedlichen Revolution

Heute wird Brüsewitz von den meisten als ein Wegbereiter der friedlichen Revolution von 1989 angesehen. Im Jahr 2000 wurde er in das Buch „Zeugen einer besseren Welt“ aufgenommen, mit dem die EKD und die (katholische) Deutsche Bischofskonferenz die Märtyrer des 20. Jahrhunderts würdigen. An der Pfarrkirche in Rippicha prangt seit 2006 eine Gedenktafel, auf der der Theologe als „Streiter für Christus“ gewürdigt wird. Vor der Michaeliskirche in Zeitz erinnert bereits seit 1990 eine Gedenksäule an seine Selbstverbrennung. Am 21. August findet dort ein Gedenkgottesdienst statt. Im Anschluss daran werden Vertreter der Stadt Zeitz und der evangelischen Kirche Kränze an der Brüsewitz-Säule vor der Kirche niederlegen. Die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland wird nicht dabei sein, wie die Pressestelle auf Anfrage mitteilte, da sie beim Festgottesdienst zum zehnjährigen Bestehen des Christus-Pavillons im thüringischen Volkenroda sein wird.