30. November 2021

Die Kirche redet viel und tut wenig

Quelle: idea.de

Foto: Thomas Schneider

Bad Boll/Altenkunstadt (idea) – Ihren zahlreichen Worten für die Bewahrung der Schöpfung sollte die evangelische Kirche Taten folgen lassen. Bisher hinken ihre Ansprüche in einer Vielzahl von Papieren, Synodenbeschlüssen und Denkschriften der eigenen Praxis hinterher.

Diese Kritik übt der Umweltexperte und frühere Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll, Jobst Kraus, im Deutschen Pfarrerblatt (Altenkunstadt). Er malt ein bedrohliches Bild von den Folgen des Klimawandels, die vor allem die armen Menschen in den Ländern des Südens zu tragen hätten: Überschwemmungen durch das Ansteigen des Meeresspiegels, wachsendes Hungerelend und zunehmende Flüchtlingsströme. Kraus: „Neben der Natur wird weltweit auch die Würde des Menschen zerstört.“ Verantwortlich sei vor allem die auf Wachstum angelegte Wirtschaftsweise der Industrie- und Schwellenländer. Kraus: „Der Klimawandel ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis eines ökonomischen und ökologischen Kolonialismus, der die Welt prägt.“ Der „globale Kapitalismus“ feiere eine „Party auf Kosten der Zukunft“.

Kirche „verwurzelt“ in Konsumgesellschaft

Nötig sei eine radikale und umfassende Umkehr. Das habe auch die EKD in ihrer Denkschrift „Umkehr zum Leben – Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“ von 2009 gefordert. Darin heißt es: „Ein einschneidender Mentalitätswandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig. Ein solche Wende zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise verlangt nach einer Umkehr, die die Bibel ‚Metanoia’ nennt…“ Doch trotz solcher Erklärungen praktizieren die Kirchen, wie Kraus schreibt, „business as usual“. Man praktiziere eine Wirtschaftsweise, „die mit ihrer individuellen Motorisierung die Schöpfung vor die Wand fährt…“ Seit der Atomkatastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren würden die Kirchen nicht müde, den Ausstieg aus der Kernenergie zu fordern, produzierten aber durch ihren Strombezug weiterhin „Tonnen von Atommüll“. Mit ihrem „Verwurzeltsein in die kapitalistische Konsumgesellschaft“ gäben die Kirchen – so Kraus – „alles andere als ein glaubwürdiges gutes Bild ab“.

„Transformation“ der Gesellschaft vorantreiben

Nach seiner Ansicht wäre die Kirche prädestiniert, eine „Transformation“ der Gesellschaft voranzutreiben: Sie sei in Dörfern und Städten noch flächendeckend präsent. Die nötige nachhaltige Handlungsperspektive decke sich mit ihren eigenen Ansprüchen und Leitbildern. Mit ihren rund 18.000 Kirchengemeinden und 5.000 großen Einrichtungen – etwa Schulen oder Krankenhäusern – sei sie ein Großverbraucher. Sie habe mit etwa 35 Milliarden Euro eine große Marktmacht, um öko-faire Produkte nachzufragen. Zudem verfüge sie über Bildungseinrichtungen, die beim Übergang in eine ökologische Zivilisation helfen könnten. Doch müsse sich die Kirche selbst zielorientiert und glaubwürdig in Richtung Nachhaltigkeit bewegen.

Neue missionarische Aufgabe

Dazu sei auch ein neues Verständnis von Gottesdienst nötig. Kraus regt an, dass neben Liturgie und Predigt ein gesellschaftlicher Diskurs stattfinde, in dem über globale Herausforderungen und lokale Handlungsnotwendigkeiten gestritten werde und man sich zu Aktionen verabrede. Kraus: „Meines Erachtens liegt heute hier die neue missionarische Aufgabe von Kirche.“ Nach Angaben des Pfarrerblatts war Kraus seit 1976 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll, zuletzt im Referat „Umweltpolitik und nachhaltige Entwicklung“. Seit Juli ist er im Ruhestand. Er ist Mitglied des Umweltrats der württembergischen Landeskirche und Sprecher des ständigen Ausschusses „Umwelt“ des Deutschen Evangelischen Kirchentags.