19. Januar 2022

UNRUHEN IN ÄGYPTEN: Christen beten und protestieren

Quelle: idea.de

UNRUHEN IN ÄGYPTEN: Christen beten und protestieren

Kairo/Alexandria (idea) – Von den Unruhen in Ägypten bleibt die christliche Minderheit des überwiegend muslimischen Landes nicht unberührt. Einerseits wird von teilweise blutigen Übergriffen extremistischer Muslime berichtet, andererseits demonstrieren vor allem junge Christen in Kairo Seite an Seite mit Muslimen für ein Ende der Herrschaft von Staatspräsident Hosni Mubarak.
 

Während sich dort nach dem muslimischen Freitagsgebet am 4. Februar Zehntausende Regierungsgegner zum „Tag des Abgangs“ versammelten, kamen im Land Christen zum Gebet für Frieden, Demokratie und Menschenrechte zusammen. Internationale Dachorganisationen wie die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) rufen zur Fürbitte auf. Von den rund 83 Millionen Einwohnern Ägyptens sind 87 Prozent Muslime und zehn Prozent orthodoxe Kopten. Außerdem gibt es kleinere Gruppen von Katholiken und Protestanten. Außer Ägypten sind mehrere Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens von Protesten gegen die bisherigen Machthaber erfasst, darunter Mauretanien, Algerien, Tunesien, Jordanien und Jemen. Welche Auswirkungen dies auf die christlichen Minderheiten haben wird, ist unklar.

Muslim-Bruderschaften an die Macht?

Seit dem 26. Januar kommen täglich Tausende zu Demonstrationen gegen Mubarak auf dem Kairoer „Platz der Befreiung“ zusammen. Der 82-Jährige, der seit 29 Jahren an der Macht ist, will bis September zurücktreten. Fieberhaft wird jedoch bereits an Plänen für eine sofortige Übergangsregierung gearbeitet. Unklar ist die Beteiligung der radikal-islamischen Muslim-Bruderschaften, die etwa 600.000 Angehörige haben. Bei den Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums bis zum 4. Februar 13 Menschen getötet worden. Während sich bei den Demonstrationen in Kairo junge Christen und Muslime verbrüderten und sich gegenseitig vor Angriffen von Mubarak-Anhängern schützten, griffen in anderen Landesteilen muslimische Extremisten Christen an.

Zwei christliche Familien ermordet

In der Ortschaft Sharuna (Provinz Minya) wurden nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen) am 30. Januar zwei koptisch-orthodoxe Familien ermordet. Insgesamt starben elf Menschen, darunter ein dreijähriges Mädchen. Vier Kopten überlebten mit Schussverletzungen. Die Häuser der Familien wurden geplündert. Auch aus anderen Regionen werden Übergriffe auf Läden von Christen gemeldet. Der deutsche Lehrer Helmut Busch, der bis vor wenigen Tagen an einer katholischen Schule in Alexandria unterrichtete, berichtete gegenüber idea von anhaltendem Chaos und Schießereien. Die Kopten fürchteten einen künftigen stärkeren Einfluss der Muslim-Bruderschaften. In Alexandria hatte es in der Neujahrsnacht ein Selbstmordattentat vor einer koptisch-orthodoxen Kirche gegeben, bei dem 23 Menschen getötet wurden.

Bischof: Werden Christen zu Blitzableitern?

Wie die Evangelische Allianz Ägyptens mitteilt, vereinen sich Orthodoxe, Katholiken und Evangelikale zum Gebet für ihr Land. Die Weltweite Allianz, die rund 600 Millionen Christen in 128 Ländern vertritt, ruft zur Fürbitte für Ägypten auf. Die Kopten in- und außerhalb Ägyptens beten, „dass Gott seine schützende Hand über und hält“ sagte der Generalbischof der rund 6.000 koptisch-orthodoxen Christen in Deutschland, Anba Damian (Höxter), im ideaFernsehen. Die Entscheidung, ob sich Kirchenmitglieder an den Demonstrationen gegen die Regierung beteiligen, überlasse man den einzelnen. Gewaltanwendung sei aber ausgeschlossen. Die Kirche hoffe, dass es in Ägypten zu Reformen komme, die den Menschenrechten, einschließlich der Religionsfreiheit, Geltung verschaffen. Mit Sorge sehe man die fortgesetzten Übergriffe von islamischen Extremisten auf Christen. „Ich hoffe, dass die Kopten nicht zu Blitzableitern werden“, so Damian.

Mehr Druck auf Christen in Eritrea?

Die WEA befürchtet, dass die Unruhen in Nordafrika und dem Nahen Osten Auswirkungen auf die Christen auch in weiter entfernten Regionen haben werde. So könnte sich der Druck auf die Minderheit im nordostafrikanischen Eritrea verstärken, da Staatspräsident Issayas Afewerki ein Übergreifen des Aufruhrs auf sein Land befürchtet. Er sieht Christen, die sich der Kontrolle des Staats entziehen, ohnehin als potentielle Aufrührer an. Rund 2.200 Christen, vor allem Evangelikale und Katholiken, sind in Polizeistationen, Militärlagern oder Frachtcontainern unter teilweise unmenschlichen Bedingungen eingesperrt. In dem Ein-Parteien-Staat sind seit dem Jahr 2002 nur die orthodoxe und die katholische Kirche sowie die Lutheraner und der sunnitische Islam anerkannt. Von den rund fünf Millionen Einwohnern des Landes sind 44 Prozent Christen und 47 Prozent Muslime; der Rest gehört Naturreligionen an.