28. September 2021

Kirchenpräsident: Wachstum nicht vergötzen

Quelle: idea.de

Volker Jung: Von „Schneller - höher - weiter“ hin zu „Anders - besser - weniger“.

Frankfurt am Main (idea) – Vor einer Vergötzung des Wirtschaftswachstums hat der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung (Darmstadt) gewarnt.
 

Dies sei dann der Fall, wenn mit dem Wachstum eine „totale Heilserwartung“ verknüpft und das ganze Leben diesem Ziel unterworfen werde. „Wir stehen in der Gefahr, dass dies geschieht“, sagte Jung beim Jahresempfang des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer (AEU) am 15. September in Frankfurt am Main. Vor rund 150 geladenen Gästen wandte sich der Kirchenpräsident dagegen, Wachstum ausschließlich am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu messen und dessen Steigerung zum vorrangigen Ziel der Wirtschaftspolitik zu erheben. Das BIP sage als Summe aller Güter und Dienstleistungen nichts aus über Lebensqualität, Umwelt und Verteilungsgerechtigkeit. Wichtige wertschöpfende Leistungen für die Gesellschaft wie Hausarbeit, Kindererziehung sowie die Pflege von Alten und Kranken würden dabei nicht erfasst. Außerdem löse Wirtschaftswachstum in Deutschland nicht die ökologischen Probleme des Ressourcenverbrauchs, des Klimawandels und auch nicht die sozialen Fragen der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich im Land und zwischen den anderen Ländern. Der Kirchenpräsident plädierte für eine Umorientierung in der Wirtschaft, um mehr Lebensqualität und soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Statt des Prinzips „Schneller – höher – weiter“ könnte das neue Paradigma lauten „Anders – besser – weniger“, so Jung. „Hinter der Fassade einer sehr individualisierten und konsumorientierten Hochgeschwindigkeitsgesellschaft“ gebe es eine Sehnsucht, sich in diese Richtung zu orientieren. Jung vertrat zugleich die Ansicht, dass Gott nicht wachstums- und wohlstandsfeindlich sei: „Nach der Bibel steht der Mensch inmitten der Schöpfung unter dem Wachstumssegen Gottes.“ Zugleich werde immer eindringlich auf die Gefahr hingewiesen, sich an Reichtum und Wohlstand zu verlieren.

Ohne Wachstum tritt Erstarrung ein

In der Aussprache zu dem Vortrag sprachen sich mehrere Unternehmer dagegen aus, auf das Streben nach quantitativem Wachstum zu verzichten. Wo Wachstum aufhöre, trete Tod und Erstarrung ein, hieß es in einem Votum. Außerdem mache es beispielsweise eine wachsende Weltbevölkerung erforderlich, mehr Nahrungsmittel zu produzieren und die medizinische Versorgung zu steigern. Ein weiterer Diskussionsteilnehmer sagte, mit schrumpfender Wirtschaftsleistung wachse die Gefahr, dass es zu Verteilungskämpfen komme. Der seit 1966 bestehende AEU versteht sich als Bindeglied zwischen Kirche und Wirtschaft. Vorsitzender ist Michael Freiherr Truchseß (Niederflorstadt bei Frankfurt am Main). Als theologischer Berater fungiert Propst Sigurd Rink (Wiesbaden). Geschäftsführer ist Stephan Klinghardt (Karlsruhe).