28. Mai 2022

Missbrauchsskandal: Bischöfin Jepsen tritt ab

Quelle: idea.de

Bischöfin Maria Jepsen hat ihren Rücktritt erklärt.

Hamburg (idea) – Die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen hat ihren Rücktritt erklärt. Ursache sind Vorwürfe, sie sei Hinweisen auf sexuellen Missbrauch in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Ahrensburg bei Hamburg nicht frühzeitig genug nachgegangen.
 
 

Jepsen bestreitet dies. Zum Rücktritt habe sie bewegt, dass ihre Glaubwürdigkeit angezweifelt werde, erklärte sie am 16. Juli. Daher sehe sie sich nicht in der Lage, „die frohe Botschaft so weiterzusagen, wie ich es bei meiner Ordination und bei meiner Bischofseinführung vor Gott und der Gemeinde versprochen habe“. Sie erwarte, dass die Missbrauchsfälle zügig aufgeklärt werden und die Wahrheit ans Licht kommt. Der Vorsitzende der Nordelbischen Kirchenleitung, Bischof Gerhard Ulrich (Kiel) bedauerte den Rücktritt, der die Nordelbische Kirche schmerze. Wie kaum eine andere Vertreterin der evangelischen Kirche habe sich Jepsen immer an die Seite der Opfer und Benachteiligten gestellt, besonders für die „an Leib und Seele gequälten Menschen“. Es sei eine besondere Tragik, dass sie mit ihrem Rücktritt Verantwortung für etwas übernehme, das ihr in keiner Weise als persönliche Schuld angelastet werden könne und dürfe. Sie habe im Rahmen ihrer Verantwortung das getan, was nötig war – gerade auch in der Frage des Umgangs mit sexuellem Missbrauch. Dieser werde niemals geduldet, sondern aufgeklärt und rechtlich verfolgt, so Ulrich. Bis Ende Juli werde ein erster Zwischenbericht über die Vorgänge in Ahrensburg vorliegen.

Kirchliche Sammlung: Rücktritt ist tragisch

Als tragisch bezeichnete der Vorsitzende der theologisch konservativen Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Nordelbischen Kirche, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg), Jepsens Rücktritt. Ihr Schritt verdiene Respekt. Bei aller Kritik und theologisch kontroverser Standpunkte habe er immer Jepsens „außergewöhnliche Menschlichkeit und Integrität“ geschätzt. Ob mit ihrem Rücktritt weiterer Schaden von der Nordelbischen Kirche verhindert werde, bleibe abzuwarten. Rüß: „Es wird erschreckend deutlich, dass Missbrauchsfälle unabhängig von Zölibat und Konfession überall möglich sind. Den Opfern gebührt umfassende Aufklärung und Hilfe.“

Vor elf Jahren beiläufig unterrichtet

Bei den Vorgängen in Ahrensburg geht es um sexuelle Übergriffe von Pastoren auf männliche und weibliche Jugendliche aus den siebziger und achtziger Jahren. Eine Frau, die als Jugendliche missbraucht wurde, hat eidesstattlich versichert, sie habe Jepsen 1999 am Rande eines Kongresses in Lübeck darüber unterrichtet. Daran kann sich Jepsen nicht im Detail erinnern. Auch die damalige Pröpstin Heide Emse will Jepsen beiläufig informiert haben, doch ist damals der Bischöfin zufolge nicht das Wort „Missbrauch“ gefallen, sonst wäre sie der Sache nachgegangen. Aus dem Protokoll einer Besprechung des Bischofskollegiums vom 1. November 1999 geht hervor, dass sich Jepsen nach möglichen intimen Beziehungen eines Pastors zu jüngeren Frauen erkundigt habe. Das Personaldezernat teilte damals mit, dass es davon keine Kenntnis habe. Jepsen hat nach eigenen Angaben erst im März 2010 durch den Brief einer betroffenen Frau von den Vorfällen unterrichtet worden und habe eine umfassende Aufklärung eingeleitet.

Pastor vergeht sich an Stiefsöhnen

In Ahrensburg sollen zwei Pastoren in den siebziger und achtziger Jahren Jugendliche sexuell missbraucht haben. Der Ruhestandspastor Gert-Dietrich K. soll ein sexuelles Verhältnis zu einer damals 16- bis 20-Jährigen unterhalten haben. Auch soll er sich an seinen fünf Stiefsöhnen vergangen haben. Von ihnen leben noch drei, die entsprechende Anschuldigungen erhoben haben. Das Kirchenamt hat disziplinarrechtliche Ermittlungen gegen K. und den Ruhestandspastor Friedrich H. eingeleitet, der ebenfalls in Ahrensburg tätig war. Zunächst hatte dieser eingeräumt, die Vorwürfe gegen seinen Kollegen nicht gemeldet zu haben. Inzwischen haben Opfer auch gegen H. Missbrauchsvorwürfe erhoben. Die Kirchenleitung hat in beiden Fällen die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, doch sind die Vorfälle strafrechtlich verjährt. In dem kirchlichen Disziplinarverfahren drohen den Beschuldigten die Aberkennung der Ordinationsrechte und die Streichung der Ruhestandsbezüge.

Bischöfin sprach mit Opfern

Jepsen führte noch drei Tage vor ihrem Rücktritt in der Hamburger Bischofskanzlei ein mehr als einstündiges Gespräch unter anderem mit dem ältesten Stiefsohn des verdächtigen Die Begegnung wurde von beiden Seiten positiv bewertet. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte der 48-Jährige, die Bischöfin habe sich schon zuvor in einer E-Mail dafür entschuldigt, dass so etwas in der evangelischen Kirche möglich sein konnte.

EKD-Ratsvorsitzender dankt Jepsen

Die 65-jährige Jepsen war 1992 zur ersten lutherischen Bischöfin weltweit gewählt worden. Im Jahr 2002 wurde die feministische Theologin für weitere zehn Jahre im Amt bestätigt. Sie steht an der Spitze des Sprengels Hamburg-Lübeck der Nordelbischen Kirche. Seit 1991 gehört sie der EKD-Synode an. Von 1997 bis 2003 war sie Mitglied des Rates der EKD. Seit 1992 ist sie Vorsitzende es Evangelischen Missionswerks in Deutschland. Jepsen ist nach Margot Käßmann die zweite Bischöfin, die in diesem Jahr zurückgetreten ist. Käßmann hatte Ende Februar nach einer Trunkenheitsfahrt ihre Ämter als EKD-Ratsvorsitzende und hannoversche Landesbischöfin niedergelegt. Der amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider (Düsseldorf), würdigte Jepsens „nimmermüdes Engagement“ für die weltweite Mission und Ökumene“. Auch habe sie sich besonders für eine neue Sicht auf Menschen mit homosexueller Prägung eingesetzt und die Orientierungshilfe der EKD „Mit Spannungen leben“ mit vorbereitet.