18. Mai 2022

Der amtierende EKD-Chef ist „links und fromm“

Quelle: ideaPressedienst vom 2. März 2010

Der bisherige Stellvertreter von Käßmann wird vermutlich im November ihr Nachfolger

Von Tobias-Benjamin Ottmar

Präses Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

Nikolaus Schneider ist kein Karrieremensch. Gleichwohl hatte er schon in jungen Jahren das Ziel, die Kirche zu verändern. Damals, als er mit Jürgen Thiesbonenkamp, Jürgen Fliege und Wolfgang Wallrich im Predigerseminar Wuppertal die „Schulbank“ drückte, fassten sie zusammen den Entschluss, die Kirche aufzumischen. Geprägt von der 68er-Bewegung wollten sie quasi den Aufstand von unten proben. „Mit Düsseldorf (dem Sitz des Landeskirchenamtes, Anm. d. Red.) wollte ich so wenig wie möglich zu tun haben, unsere Einstellung war: Bleibt ihr mal in Düsseldorf, wir regeln die Sachen schon selber (…)“, sagte Schneider vor zwei Jahren in einem Hörfunkbeitrag. Doch es kam ganz anders. Thiesbonenkamp wurde 2003 Chef der Kindernothilfe, Fliege ging schon früh ins Fernsehen, um dort seine höchst umstrittene Theologie zu vertreten, Wallrich ist heute Auslandspfarrer in Stockholm. Und Schneider? Der Theologe, der sich selbst mit „links und fromm“ korrekt bezeichnet sieht, steht plötzlich an der Spitze der EKD. Nach dem Rücktritt von Frau Käßmann ist er als bisheriger Stellvertreter bis zur Neuwahl des EKD-Chefs auf der EKD-Synode im November zunächst amtierender Ratsvorsitzender.
 

Keine Übergangslösung?
Dass sein neues Amt mehr als eine Übergangslösung sein könnte, dafür gibt es mehrere
Gründe:
• Der Fußballfan gilt als warmherzig, bodenständig und kritikfähig. Hier ist er ein Sympathieträger, was auch das Wahlergebnis bei der letzten EKD-Synode beweist (zweitbestes Ergebnis eines Kirchenleiters hinter Käßmann).
• Er ist sozialpolitisch sehr engagiert (was die mehrheitlich politisch eher linksorientierte EKDSynode zu schätzen weiß). Ob die Diskussion um Banken-Bonuszahlungen, die Konsequenzen nach der Finanzkrise oder die Sorge um Hartz-IV-Empfänger – bei diesen Themen meldet sich der Rheinländer regelmäßig zu Wort.
• In den letzten Jahren ist es Schneider gelungen, die unterschiedlichen Strömungen in der rheinischen Kirche weitgehend zusammenzubringen. Aktuellstes Beispiel ist das in diesem Jahr beschlossene Papier „Missionarisch Volkskirche sein“, das die rheinische Synode einstimmig (!) verabschiedete.
 

Glaube muss an die 1. Stelle
Auch wenn Sozialpolitik und Ethik für den Rheinländer – der aus einer Stahlarbeiterfamilie stammt – wichtige Themenfelder sind, der Glaube muss aus seiner Sicht stets an erster Stelle stehen. Das Leben lasse sich „nur auf Jesus Christus allein begründen“, stellte er 2005 in einem idea-Interview klar. Die auf Jesus begründete Hoffnung auf die Ewigkeit bekam besondere Bedeutung, als im Februar desselben Jahres die jüngste Tochter Meike an Leukämie starb. Seitdem ist das Ehepaar Schneider immer wieder auch als Gesprächspartner gefragt, wenn es um Themen wie Trauerbewältigung geht.Seine geistliche Prägung bekam Schneider im CVJM. Während seine Eltern keinen Bezug zur Kirche hatten, wurde er immer neugieriger auf Gott. „Die Bibel ließ mich nicht mehr los“, schrieb er 2003 in einem idea-Kommentar. Schneider entschied sich für ein Leben als Christ und bald auch für ein Theologiestudium, das er in Wuppertal, Göttingen und Münster absolvierte. 1987 wurde er in seiner Heimat Duisburg Superintendent, zehn Jahre später Vizepräses der rheinischen Kirche und 2003 schließlich Präses.
 

Wo manche Mängel sehen
Für politisch konservative Protestanten ist Schneider freilich oft zu politisch – und zu links. Manche Evangelikale haben ihre Probleme mit ihm, weil er aus ihrer Sicht beim Thema Homosexualität zu progressiv ist und beim Lebensschutz (beispielsweise bei der Embryonenforschung) zu wenig Flagge zeigt. Negativ in Erinnerung geblieben ist auch der Wirbel um die Absetzung der Pfarrer Roland und Dietrich Reuter, die Schneider mit zu verantworten hatte. Von „Mobbing in der Kirche“ war damals die Rede. Heute taucht der Vorwurf in ähnlicher Weise wieder auf, wenn es um den Umgang mit den rheinischen Warteständlern – also Pfarrern, die keine Gemeinde- oder Funktionsstelle haben – geht. Derzeit laufen mehrere Klagen gegen ein von der Landeskirche 2008 eingeführtes Auswahlverfahren.