24. Oktober 2021

„Da haben Engel den Löwen die Rachen verschlossen“

Quelle: idea.de

idea-Leiter Helmut Matthies (3.v.l.) moderiert das Podiumsgespräch mit Dr. Fritz Hähle, Birgit Schlicke, Eberhard Heiße, Dr. Theo Lehmann und Frank Richter (v.l.n.r.) Fotos: idea/Rainer Küchler

Glauchau (idea) – Gegen eine Verklärung der DDR-Vergangenheit haben sich Referenten einer Festveranstaltung der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) anlässlich der friedlichen Revolution in der DDR vor 20 Jahren ausgesprochen.
 

Das Treffen am 8. November im sächsischen Glauchau stand unter dem Motto „Gegen das Vergessen“. Wie der Vorsitzende des Landesverbands Landeskirchlicher Gemeinschaften in Sachsen, Prof. Johannes Berthold (Moritzburg), sagte, sei die DDR nie anders legitimiert gewesen als „durch Unrecht und Gewalt“. Habe die Gestapo einst 15.000 Angehörige auf der Gehaltsliste gehabt, seien es bei der Stasi am Ende der DDR mehr als 90.000 gewesen. Dass dieser Staat irgendwann an sich selbst zugrunde gehen musste, sei klar gewesen, so Berthold. Das eigentliche Wunder aber sei, dass dies 1989 ohne Gewalt und Blutvergießen

Prof. Johannes Berthold, Vorsitzender des Sächsischen Gemeinschaftsverbandes

geschehen sei: „Da haben Engel den Löwen die Rachen verschlossen.“ Dieses Ereignis dürfe nicht in Vergessenheit geraten. Selbst wenn die DDR irgendwann zu „einer Fußnote der Geschichte“ geworden werde, müsse die Erfahrung der friedlichen Revolution bleiben, sagte Berthold vor den 680 Besuchern. „Es war unser Sieg über die Streitwagen des Pharao, unsere Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägyptens, unser Durchzug durchs Schilfmeer.“

Wunder können verwelken

Allerdings habe Glück ein rasches Verfallsdatum, und Wunder könnten welken, mahnte der Theologe. Für viele habe nach 1989 ein schmerzhafter Prozess begonnen, der sie „trotz des Mannas aus dem Westen“ und der bis heute 1,3 Billionen Euro Transferleistungen vielfach an den biblischen Durchzug durch die Wüste erinnere. Nicht wenige sehnten sich nach den vermeintlich „guten alten Zeiten“ in der DDR zurück. Das sei psychologisch verständlich, sagte Berthold und verwies auf die Sehnsucht Israels nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Eine Ostalgie sei jedoch gefährlich, weil sie Menschen in die Arme derer treibe, die Hoffnungen auf „neue sozialistische Experimente“ nährten. „Wer heute neu von ihnen träumt, sollte sich fragen, warum Rezepte von vorgestern, die schon gestern unwirksam waren, ausgerechnet morgen wirken sollten.“

Besitzstandswahrung unantastbar?

Zugleich warnte Berthold vor den Gefahren des Kapitalismus. „Mir scheint, nicht nur der Kommunismus, auch das westliche Lebensmodell nährt sich von einem heimlichen Messianismus“, erklärte er. Sanft locke es die Menschen ins verlorene Paradies zurück, verspreche nicht nur Lösungen, sondern Erlösung – „damals von der Politik, heute von der Wirtschaft“. Angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sei es Zeit für eine Wende. Momentan lebe Deutschland auf Kosten der Armen und auf Kosten „unserer Kinder, über die die Schuldenberge fallen werden“. Während es im Grundgesetz heiße „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, lebten viele nach dem Motto „Die Besitzstandswahrung ist unantastbar“, kritisierte Berthold.

Christen sind für linke Gewalt seltsam blind

Der Evangelist Rainer Dick (Nürnberg), rief Christen dazu auf, einer Verharmlosung und Verklärung der „Diktatur des Proletariats“ entschieden zu widersprechen. Zwar solle es Christen nicht um eine späte Aufrechnung von Unrecht gehen, „denn Gottes Sache ist Vergeben“. Doch dürfe man nicht übersehen werden, dass die alte Ideologie derzeit wieder

Evangelist und Buchautor Rainer Dick

hoffähig gemacht werde. Dick, der seit 2008 im Ruhestand lebt, war seit 1996 Landessekretär für Evangelisation, Erwachsenenbildung und junge Familien im CVJM-Landesverband Bayern. Zuvor war er 25 Jahre beim sächsischen Jungmännerwerk tätig. Unter Christen beobachte er ein großes Defizit, was linke Gewalt angehe. Dick: „Sie sind dafür seltsam blind.“ Es sei merkwürdig, dass den Linken immer positive Motive unterstellt würden, so Dick. „Nirgendwo auf der Welt hat der Sozialismus für die Völker Gutes und Heilsames gebracht.“ 90 Millionen Tote in aller Welt habe es unter der Herrschaft des Kommunismus, dessen „reinste Form der Stalinismus war“. Es sei verkehrt zu behaupten, der Sozialismus sei eine gute Sache gewesen, die nur schlecht umgesetzt wurde. „Dieser Satz ist ein Mythos, der nicht dadurch wahrhaftiger wird, indem man ihn ständig wiederholt.“
 

Undankbarkeit kennzeichnet ein Leben ohne Gott

Gerade Christen sollten dankbar für die Ereignisse von 1989 sein: „Wann hat es das schon jemals in der Geschichte gegeben, dass eine betonierte Diktatur unblutig hinweggefegt wurde?“ Bei allen gegenwärtigen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit oder Ungerechtigkeit dürfe nicht vergessen werden, was mit der Wiedervereinigung im Osten gewonnen wurde – Wahl-, Presse-, Versammlungs-, Reise- und Meinungsfreiheit. Das Lebensmotto von Christen laute: „Vergiss nicht, was Gott dir Gutes getan hat.“ Auch Undankbarkeit sei Kennzeichen eines Lebens ohne Gott.

Fortsetzung zum Podiumsgespräch folgt!