28. Mai 2022

„Wäre ich Merkel, ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen“

Quelle: jungefreiheit.de

Foto: jf-buchdienst.de

von Moritz Schwarz

Thorsten Schulte: Die Welt am Sonntag weigerte sich entgegen der Vereinbarung, unsere Anzeige zu drucken – aus „grundsätzlichen Erwägungen“, wie es hieß. Aber nicht nur das, zunächst hatte sich auch die Buchhandlungskette Thalia geweigert, mein Buch auszustellen – obwohl sie damit sogar bei den vom Mainstream gehaßten Büchern Udo Ulfkottes kein Problem hatte. Überhaupt sagt mir der Kopp-Verlag, wo „Kontrollverlust“ erschienen ist, daß er selbst mit den Ulfkotte-Büchern nicht erlebt habe, was wir nun durchmachen. Wochenlang gab es auch Probleme mit Amazon, ebenso mit Osiander und der Mayerschen Buchhandlung.

Kritiker werfen Ihrem Buch „Rechtspopulismus“ vor. Ist das der Grund?

Schulte: Jedes Buch, das den herrschenden Verhältnissen den Spiegel vorhält, wird in eine verschwörungstheoretische Ecke gestellt. Damit will man die Diskussion im Keim ersticken. Zum Vorwurf „Rechtspopulismus“ zwei Anekdoten: 2016 sprach ich im linken Club Voltaire in Frankfurt. Natürlich gab es übrigens Drohungen, und die Polizei hatte mir vom Besuch der Veranstaltung abgeraten. Die Publizistin Jutta Ditfurth, die 1987 noch in der sogenannten Elefantenrunde mit Helmut Kohl und Franz Josef Strauß im Fernsehen diskutieren durfte, schrieb danach: „Statt rechtslastiger ‘Geldkritik’ besser klare Kapitalismuskritik!“ Das macht deutlich, daß viele am linken Rand immer noch nichts verstanden haben und statt dessen lieber alte Feindbilder pflegen, ohne zu erkennen, daß sie damit das Geschäft der Groß- und Zentralbanken betreiben. Oder: Als ich einmal vor Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung sprach, warf mir einer von ihnen vor, nun fehle nur noch das Gerede vom „raffenden und schaffenden Kapital der Nationalsozialisten“. Dabei hatte ich einzig und allein den Prozeß der Geldschöpfung dargestellt und den Zentralbanken Vorwürfe gemacht, weil sie mit Nullzinspolitik und Anleihenkäufen gigantische Blasen schaffen. In „Kontrollverlust“ schreibe ich nun über den Geldsozialismus der EZB, kritisiere, daß sie außerhalb jeder Kontrolle steht, zeige auf, wie Mario Draghi für verheerende Wettbewerbsverzerrungen sorgt. Darüber muß gestritten, ja, es muß heftig dagegen protestiert werden!

„Seit Erscheinen meines Buches bin ich praktisch tot“

Allerdings entwerfen Sie in Ihrem Buch tatsächlich ein apokalyptisch wirkendes Szenario, angesichts dessen man sich fragt, ob Sie bei der Verknüpfung der Mißstände nicht doch übers Ziel hinausschießen.

Schulte: Meinen Sie diesen Vorwurf wirklich ernst? Ich habe in „Kontrollverlust“ nur Fakten mit seriösen Quellen zusammengetragen. Und tatsächlich entwerfe ich ein wahrscheinliches Szenario für den Euro. Sie können doch nicht wegdiskutieren, daß die Notenbanken ein gigantisches „Potemkinsches Dorf“ geschaffen haben. Na, und die Migrationspolitik Angela Merkels birgt zweifellos gewaltige Risiken! Wer hier schönredet, wiegt die Menschen in falscher Sicherheit. Wäre ich Frau Merkel, könnte ich morgens nicht mehr in den Spiegel schauen. Natürlich, niemand hat die Glaskugel, das stimmt. Aber die Kanzlerin selbst sagte 2010: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“ Nun, scheitert Europa nicht gerade am Euro?

Die Fakten im Buch scheinen hieb- und stichfest, aber in der Art, wie Sie sie zusammenführen, wirken sie schnell verschwörungsartig. Hätten Sie nicht mehr betonen müssen, daß viele Maßnahmen der Politik auch situativ und reaktiv und keineswegs vorausgeplant sind? Denken Sie etwa an „Die Getriebenen“ des Journalisten Robin Alexander, auf dessen Buch Sie sich ja in „Kontrollverlust“ auch beziehen. Bei ihm entsteht eher der Eindruck von Chaos und Hilflosigkeit der Regierenden, als von Mächtigen mit perfiden Plänen.

Schulte: Robin Alexander erwähnt in seinem Vorwort, daß alles aus der Perspektive der politisch Verantwortlichen geschildert wird. Diese aber wollen uns einreden, sie seien Getriebene gewesen und hätten kaum anders gekonnt. Ich führe dagegen hinreichend belastbare Belege an, daß dies der Versuch einer Legendenbildung ist. Siehe dazu in „Kontrollverlust“ die Kapitel „Die Verantwortlichen waren gewarnt“ und „Angela Merkel – durchtrieben, nicht getrieben“.

Für die Öffentlich-Rechtlichen „praktisch tot“

Die „Wirtschaftswoche“ erinnern Sie „mit (Ihren) düsteren Prognosen und simplen Lösungen … frappierend an die Populisten in der Politik“. „Focus Online“ dagegen gewährt Ihnen eine Kolumne. Wieso kommen Wirtschafts-Titel zu so unterschiedlicher Einschätzung Ihrer Person?

Schulte: Außer mir wurden in dem Artikel der Wirtschaftswoche auch Dirk Müller, alias „Mr. Dax“, und die Professoren Thorsten Polleit und Max Otte genannt. „Simple Lösungen“ propagiert allerdings keiner von uns. Was wir tun, ist die Sünden der Geld- und Finanzpolitiker und ihre Folgen zu beschreiben. Uns für diese „Systemkritik“ zu schelten, ist so, als ob man nach einem Chemieunfall die toten Fische im Fluß verantwortlich macht. Für mich war dieser Artikel eine schäbige Auftragsarbeit.

Manche Kritiker sehen in Ihrem Buch, Ihren Vorträgen, Youtube-Videos, Anleger-Tips etc. nur ein clever verzahntes Marketing für Sie selbst als Publizisten. Kann man nicht, ganz ehrlich, auf diesen Gedanken tatsächlich kommen?

Schulte: Ich stelle in Youtube wichtige Videos wie „Die dunkle Seite der EZB“ oder „Merkels Rechtsbruch“, aber auch viele Finanzvideos der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung. Dabei war mir klar, daß ich mich mit diesen Videos aus dem Mainstream „verabschiede“. Folglich gab es gegen mein Buch erst ein Schweigekartell und als es sich dennoch immer besser verkaufte sogenannte Buchrezensionen, die für mich oft nichts anderes als Hetze waren. Für mich ist das quasi ein Rufmordkartell. Früher trat ich öfter im ZDF-„Heute-Journal“ auf und noch im April 2017 auf der ARD-Bühne auf der größten Anlegermesse in Stuttgart. Seit dem Erscheinen von „Kontrollverlust“ aber bin ich für die praktisch tot. Na ja, ich habe das Buch dennoch gemacht – auch wenn ich nach dem Vorgehen von Markus Lanz gegen meinen Kollegen Dirk Müller wußte, was mich erwarten würde.

„Die EZB schafft unglaubliche Blasen“

Wie genau sieht der Kollaps aus, in den uns der von Ihnen diagnostizierte Kontrollverlust führen wird?

Schulte: Ganz wichtig ist, daß ich ein wahrscheinliches Szenario beschreibe, und dies ist nicht der Crash. Ich rate allerdings dazu, daß man sich auch auf einen solchen „Worst Case“, den schlimmsten Fall, vorbereiten soll. Motto: „Prepare for the worst and hope for the best!“ (Hoffe auf das Beste, sei bereit für das Schlimmste.) Würden die Euro-Gegner beispielsweise bei den Wahlen in Italien am 4. März die Oberhand gewinnen, wäre der Austritt eines großen Euro-Mitgliedstaates nicht mehr ausgeschlossen. Dies könnte zu einem Dominoeffekt führen. Diese Länder stünden dann mit ihren alten Währungen da, ihre Schulden würden aber weiter in Euro geführt. Da ihre neuen alten Währungen schwach wären – also gegenüber dem Euro abwerten würden –, könnten sie diese Schulden kaum zurückzahlen. Dies alles – mit den möglichen Auswirkungen – beschreibe ich als „Worst Case“ im Buch. Momentan stellt die EZB die Weichen in Richtung Inflationierung – und schafft dabei unglaubliche Blasen. Sie sorgt bei den Anleihen für Mondpreise! Per Ende 2017 besaß sie italienische Staatsanleihen für über 300 Milliarden Euro und eine durchschnittliche Laufzeit von 8,4 Jahren. Das sind 15,5 Prozent der Staatsanleihen Italiens! Folge: Die Rendite einer zehnjährigen italienischen Staatsanleihe liegt trotz Rekordverschuldung bei lächerlichen 1,79 Prozent und damit unter der für US-Staatspapiere von derzeit 2,39 Prozent. Diese Blasen können platzen, so wie auch 1987 der Aktiencrash kam, obwohl die Geldmengenaggregate noch im Plus lagen. Im Juni 2017 meinte die damalige US-Notenbankchefin Janet Yellen, eine neue Finanzkrise werde es zu unseren Lebzeiten wohl nicht geben. Verlassen wir uns auf solche Leute lieber nicht, sonst sind wir verlassen!

Mit „Kontrollverlust“ meinen Sie allerdings keineswegs nur die Politik, wie man beim Blick in Ihr Buch es zunächst glaubt.

Schulte: Ja, vor allem wir Bürger sind es, die die Kontrolle verlieren – über unsere bürgerliche Freiheit, unser Bargeld, also unsere finanzielle Freiheit, über die innere Sicherheit, über unser Land. Brüssel zieht immer mehr Kompetenzen an sich, und die einst viel beschworene Subsidiarität kommt nur noch in Fensterreden vor. Der Zentralismus hat in der EU die Oberhand gewonnen. Das aber ist nicht meine Vorstellung eines einigen Europas. Ob Geldsozialismus, Zentralismus, finanzielle Repression oder Freihandelsabkommen, durch all das – und noch viel mehr – wird unsere Freiheit beschnitten. Deshalb setze ich mich in „Kontrollverlust“ ja auch so leidenschaftlich für direkte Demokratie ein. Denn nur so können wir den EZB-Geldsozialismus, den Zentralismus und vor allem Konzernermächtigungsgesetze – nichts anderes sind Freihandelsabkommen – stoppen. Dafür will ich sensibilisieren, denn es geht um unsere Freiheit!

„Schließen Sie nichts aus“

Sie sagen: „Kommt der Crash, braucht der Bürger Cash.“ Haben wir nicht gelernt, daß gerade dann Papiergeld nichts wert ist?

Schulte: Dies gilt im Falle eines Crashs des Euro – den das Establishment aber mit allen Mitteln verhindern will. Noch einmal: Sie dürfen kein Szenario ausschließen. Mit Gold und Silber schütze ich mich gegen hohe Inflation, Aktien bieten Vermögensschutz – sofern die Inflation nicht außer Kontrolle gerät. Ohne Schulden werden Sie bei Deflation nicht zur Geisel der Banken. Mit Bargeld können Sie auch bei einem Bankenkollaps noch auf Einkaufstour gehen. Es gibt unterschiedliche Szenarien. Schließen Sie also nichts aus! Schon Napoleon sagte, das Wort „unmöglich“ existiere nur im Sprachschatz der Narren.

Teil des Krisenszenarios, das Sie beschreiben ist ja nicht nur die Zuspitzung der Verhältnisse, sondern vor allem die Maßnahmen, die daraufhin von den Regierungen, EU und EZB ergriffen werden. Erst diese machen die Probleme für die Bürger zur möglichen Katastrophe. Warum?

Schulte: Präsident Macron etwa will angesichts der Gesamtschulden Frankreichs – inklusive der privaten – nichts anderes als eine Haftungs- und Transfer­union mit uns. Natürlich aber traut sich niemand, das dem deutschen Michel so zu sagen. Aber eine EU-Arbeitslosenversicherung, gemeinsame EU-Bankeinlagensicherung, Euro-Bonds und vieles mehr, über das derzeit nachgedacht wird, stehen doch genau dafür. Wenn sich also diese Kräfte durchsetzen, dann wird Deutschland in einem Umfang zum Zahlmeister, daß uns schwindelig werden wird. Mit einer Stabilitätsunion hat dies nichts mehr zu tun. Ich spreche daher auch nicht mehr von einer „Euro-Rettungs-“, sondern viel treffender von einer „Euro-Sünder-Belohnungspolitik“.

Ein großer Knall ist unwahrscheinlich

Im Zentrum Ihrer Warnungen steht die angeblich drohende Bargeldabschaffung. Wie wahrscheinlich ist es wirklich, daß dies tatsächlich passiert?

Schulte: Wichtig ist zu verstehen, daß es dabei keinen „Big Bang“, keinen lauten Knall geben wird, sondern einen schleichenden Tod. Ich begründe das ausführlich in zwei Kapiteln im Buch. Die Gefahr der Einführung einer EU-weiten Bargeldobergrenze ist real, da sie vom damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble noch im Februar 2016 in Paris als Ziel ausgegeben wurde.

Bekannt geworden sind Sie vielen Interessierten vor allem unter Ihrem Marketing-Namen „Silberjunge“, weil Sie bei der Krisenvorsorge durch Edelmetalle Silber den Vorzug vor Gold geben. Warum eigentlich?

Schulte: Ganz einfach: Gold wird gehortet, Silber verbraucht. Während beim Gold aber nur rund zehn Prozent des jährlichen Angebots von der Industrie nachgefagt werden, sind es bei Silber über fünfzig bis sechzig Prozent. Denn für Silber gibt es mannigfache Anwendungsgebiete. Es steckt in jedem Auto, in Solarzellen, RFID-Chips, Spiegeln, biegsamen Displays und vielem mehr. Und Gold kann verboten werden, so wie es in den USA bereits von 1933 bis 1974 der Fall war. Bei Silber ist dies dagegen angesichts seiner Bedeutung in der Realwirtschaft ziemlich unwahrscheinlich. Ich wollte nach den schlimmen Erfahrungen, die ich in der Branche gemacht habe, nicht mehr Investmentbanker sein, sondern statt dessen die Risiken des Papiergeldsystems beschreiben und auf die Vorzüge von Silber hinweisen.

„Verlieren Sie nie den Optimismus“

Viele Durchschnittsverdiener, die nicht die Mittel haben, relevante Vorräte an Edelmetallen oder anderem anzulegen, fragen sich allerdings hilflos, was sie tun können. Welchen Rat haben Sie für diese Bürger?

Schulte: Tja, das ist schwierig. Wer tatsächlich nichts hat, kann auch nichts für den Krisenfall bereitlegen. Wer das doch kann, für den gilt, daß neben Gold und Silber auch Aktien und Immobilien in puncto Vermögensschutz wichtig sind. Gerade in München sind derzeit Immobilien selbst nach dem Bubble-Index der UBS für Immobilienmärkte absolut gefährdet. US-Aktien sind historisch gesehen sehr teuer. Gold und Silber dagegen sind gerade jetzt preiswert – aber man braucht Geduld! Setzen Sie stets auf einen guten Vermögensmix, verfügen Sie über etwas Bargeld und verzichten sie auf hohe Schulden. Stellen Sie zumindest den Schuldendienst für zwei, drei Jahre sicher – für den Fall, daß es doch zu einem Crash und Deflation wie 2008 kommt. Bei Inflation dagegen helfen Gold und Silber, sowie bei nicht überbordender Inflation auch Aktien. Gerade ein selbstgenutztes Eigenheim bietet Sicherheit. Und verlieren Sie niemals den Optimismus! Auf jede Nacht folgt stets wieder der Tag. Die beste Krisenvorsorge ergibt sich, wenn Sie selbst denken und sich das Denken nicht abnehmen lassen, weder von der Politik oder den Banken, noch den Medien. Ich verkaufe kein Gold und Silber und lasse mich von niemandem für Aktientips bezahlen, wie das in der Branche oft der Fall ist. Der einzige sichere Weg ist: Seien Sie wachsam, und hüten wir uns vor falschen Propheten!

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Thorsten Schulte ist Ex-Investmentbanker, Unternehmensberater und Bestsellerautor. Er gilt als „Deutschlands bekanntester Experte“ (Wirtschaftswoche) für Silber. Der gebürtige Westfale publizierte mehrere Bücher, zuletzt erschien „Kontrollverlust. Wer uns bedroht und wie wir uns schützen“, das sich achtzehn Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste hielt und zeitweilig Platz eins erreichte. Von 1989 bis 2015 war Thorsten Schulte Mitglied der CDU in Nord­rhein-Westfalen. 2016 gründete der Publizist den Verein „Pro Bargeld – Pro Freiheit“, der sich für den Erhalt des Bargelds als offizielles Zahlungsmittel einsetzt.