28. Januar 2022

Merkels Wiederkandidatur: „Bankrotterklärung der Union“

Quelle: jungefreiheit.de

BERLIN. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Sonntag ihre erneute Kanzlerkandidatur dem Parteipräsidium bekanntgegeben. Der am Sonntag und Montag tagende CDU-Bundesvorstand verabschiedete zeitgleich einen Leitantrag für die Kandidatur zu ihrer vierten Amtszeit. Die Klausur stand unter dem Titel „Orientierung in schwierigen Zeiten – für ein erfolgreiches Deutschland und Europa“.

Die ARD-Moderatorin Anne Will fragte Merkel in einem Einzelinterview kurze Zeit später, wann der von ihr angesprochene „richtigen Zeitpunkt“ für den Ausstieg aus der Politik sei und wann man ein „Wrack“ sei. „Ich hab ja meine Worte nicht vergessen. Aber nun hab ich mich da mal angeguckt im Spiegel. Und ich finde, daß ich das noch nicht bin“, entgegnete Merkel. Den Vorwurf der AfD, die Kanzlerin sei ein Teil des Problems, wollte Merkel nicht auf sich sitzen lassen. Zu Anne Will sagte sie, „schon auch Teil der Lösung“ zu sein.

Unterstützung und Schelte

Unterstützung erhält die Kanzleramtskandidatin von CSU-Chef Horst Seehofer: „Wir wollen jetzt für weitere vier Jahre das Vertrauen der Bevölkerung. Deshalb ist es gut, daß jetzt Klarheit herrscht“.

Als „Bankrotterklärung der Union“ bezeichnete indes Vizeparteiobmann Alexander Gauland (AfD) die erneute Kandidatur. Merkel habe in ihren vergangenen drei Amtsperioden „dem deutschen Staat und Volk massiven Schaden verursacht“.

„Wir unterschätzen sie nicht. Aber ihr Mythos der Unbesiegbarkeit ist weg“, sagte der Vizeparteiche Ralf Stegner (SPD) in Bezug auf Merkels Wiederkandidatur.

Kritische Reaktionen

Als „eine Gefahr für Deutschland“ bezeichnete allerdings der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz die deutsche Bundeskanzlerin. „Ich finde es auch für die Partei schlimm, weil sie offensichtlich keine Alternative zuläßt. Man hat immer den Eindruck, vor allem die Männer verstecken sich hinter Mutti“ sagte er bei der ARD-Sendung.

Die Welt bedauerte indes, daß Maaz nicht direkt mit Merkel aufeinandertraf. Der Psychoanalytiker Maaz, die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), der ehemalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo nahmen nach dem zuvor aufgezeichneten Interview Stellung zu den Aussagen Merkels. Als Grund für ihr langes Zögern um eine Wiederkandidatur vermutet die Zeitung außenpolitische Bewegungen wie etwa die Wahl in den Vereinigten Staaten.

Auch FAZ-Wirtschaftschef Rainer Hank stellte Merkel aus wirtschaftlicher Sicht eine vernichtende Bilanz aus. Er bezeichnete sie als „Wendekanzlerin“, die die Bürger im Stil einer Gouvernante erziehe.

Der Weser-Kurier in Bremen fürchtet mit einer vierten Amtszeit Merkels allerdings eine politische Stagnation. Überfällige Renten- und Gesundheitsreformen werde die Kanzlerin auch in Zukunft nicht anpacken.

Heile Welt

Davon, sich nun ein „Denkmal in der deutschen Geschichte“ setzen zu können, sprach allerdings die Magdeburger-Volksstimme. Die Kanzlerin zeige Verantwortung für die „Flüchtlingskrise“.

Wie ein „Hort der Stabilität“ wirke Merkels Dauerkanzlerschaft in Europa der Stuttgarter-Zeitung zu Folge. Die Europäische Union werde „mehr von Zentrifugalkräften als vom Zusammenhalt beherrscht“, die Bundeskanzlerin sei dabei eine starke zusammenhaltende Kraft.

Die Berliner-Zeitung sprach von einem Superlativ und lobte „die erste Frau, die erste Ostdeutsche, die erste Wissenschaftlerin im Bundeskanzleramt“.

Der Tagesspiegel beantwortete seine zuvor selber gestellten Fragen, wofür Merkel so viel Macht haben möchte, wozu sie diese behalten will und wohin sie das Land steuern will, mit dem Kampf gegen den Populismus. Um diesem entgegenzutreten brauche es „Fakten, immer wieder Fakten, und Transparenz“. (vi)