29. Mai 2022

Land Hessen wirft DIJG angebliche Angebote zur „Heilung“ homosexueller Menschen vor

Quelle: medrum.de

Diakoniepräsident: Verstöße gegen Diskriminierungsverbot von Homosexuellen könnten mit Ausschluss der Offensive Junger Christen (OJC) aus der Diakonie geahndet werden

(MEDRUM) Mit dem Vorwurf eines angeblichen Angebots zur „Heilung“ homosexueller Menschen sollen Verstöße der Offensive Junger Christen und des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft (DIJG) gegen das Diskriminierungsverbot von Homosexuellen geahndet werden. Das geht aus Erklärungen von Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU), des Diakoniepräsidenten Johannes Stockmeier und des Bundestagsabgeordneten von Bündnis90/ Die Grünen, Volker Beck, hervor.

Als sei es eine konzertierte Aktion, wollen Sozialminister Grüttner, der Diakoniepräsident Stockmeier und der Grünenpolitiker Beck gegen die OJC und das DIJG wegen angeblicher Diskriminierung und umstrittener Praktiken zur Heilung Homosexueller vorgehen.

In einer Antwort an den Hessischen Landtag vom 29. November 2012 auf eine Kleine Anfrage der Grünen stellt Hessens Sozialminister fest: „Der Landesregierung sind insbesondere Angebote des „Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft (DIJG)“ zur „Heilung“ homosexueller Menschen bekannt.“ Grüttner lehnt derartige Angebote ab und hält es für erforderlich, dass die „Einstellung des DIJG zur Homosexualität und Gleichberechtigung der Geschlechter keinen Einfluss auf die pädagogische Begleitung des Vereins Offensive Junger Christen (OJC) hat“, weil dieser zur Trägergruppe der evangelischen Kirche für die Ableistung des Freiwilligen Sozialen Jahres gehört, die aus Landesmitteln bezuschusst wird.

Grüttner: Angebote des DIJG zur „Heilung“ homosexueller Menschen sind bekannt

In seiner Antwort macht Sozialminister Grüttner unter anderem folgende Aussagen:

Sexuelle bzw. geschlechtliche Identität ist ein Wesensmerkmal des Menschen – es ist keine Wahlmöglichkeit.
Homosexualität ist keine Krankheit und bedarf entsprechend keiner Therapie zur Konversion.
Verschiedentlich wurde festgestellt, dass „Konversions-“ oder „Reparationstherapien“ zu Ängsten, sozialer Isolation, Depression bis hin zu Suizidalität führen.
Der Landesregierung sind insbesondere Angebote des „Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft (DIJG)“ zur „Heilung“ homosexueller Menschen bekannt.
Wenn nicht sichergestellt werden kann, dass die Einstellung des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft zu den Themen Homosexualität und Gleichberechtigung der Geschlechter keinen Einfluss auf die pädagogische Begleitung des Vereins Offensive Junger Christen hat, wird es einen entsprechenden Hinweis auf der gemeinsamen Homepage der Landesarbeitsgemeinschaft FSJ und des Sozialministeriums geben.

Volker Beck: Die Diakonie darf derartige Praktiken nicht dulden

Der Hessische Rundfunk berichtete über das Vorgehen von Sozialminister Grüttner gegen die OJC unter der Überschrift „Verdacht auf Schwulen-Diskriminierung: Land überprüft evangelischen Verein“. Hintergrund sei eine mögliche Diskriminierung von Homosexuellen. Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) habe die Überprüfung der Zusammenarbeit mit der OJC in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen bestätigt, so der Sender. Wie zudem der Evangelische Pressedienst meldete, will sich auch die evangelische Diakonie verstärkt gegen eine Diskriminierung von Homosexuellen in ihren Einrichtungen einsetzen. Diakoniepräsident Johannes Stockmeier habe der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen mitgeteilt, dass der Verband entsprechende Verstöße auch mit einem Verbandsausschluss ahnden könne. Der Grünenpolitiker Volker Beck hat dies laut epd begrüßt. Therapien, die „eine angebliche Heilung von Homosexualität versprächen, dürften unter dem Dach der Kirche keinen Platz finden“. Der epd zitiert Beck mit den Worten: „Seelsorge sieht anders aus. Die Diakonie darf derartige Praktiken unter ihrem Dach nicht dulden.“

Weder OJC noch DIJG bieten Therapie zur Heilung Homosexueller an

Zum Vorwurf, das DIJG biete Therapien zur „Heilung Homosexueller“ an, erklärte die Leiterin des DIJG, die Kinder- und Jugendärztin Christl R. Vonholdt unmissverständlich: „Das DIJG bietet keine Therapien an.“ Vor diesem Hintergrund fragt sich: Wie kommt Sozialminister Grüttner zu der Behauptung, ihm seien Heilungsangebote des DIJG bekannt? Er könnte einem Irrtum aufgesessen sein, der leicht hätte vermieden werden können, wenn die OJC und das DIJG vor der Information an den Landtag beteiligt worden wären. Dies ist allerdings aus unverständlichen Gründen, wie die Sprecherin des DIJG bestätigte, unterblieben. Die Landesregierung und der Diakoniepräsident übersehen deshalb wohl auch, dass das DIJG in Fragen der Homosexualität eine Position vertritt, die nicht das Geringste mit Diskriminierung von Homosexuellen zu tun hat. Denn für die Leiterin des DIJG ist es eine Selbstverständlichkeit, dass homosexuell empfindende Menschen das Recht haben, eine homosexuelle Identität anzunehmen und einen homosexuellen Lebenstil zu wählen, wie sie anlässlich der jetzt bekannt gewordenen Vorwürfe des Sozialministers bekräftigte. Dies hätte Grüttner schon durch einen Blick auf die Internetseite des DIJG auch selbst feststellen können. Das DIJG teilte weiter dazu mit: „Das DIJG bekennt sich zu einer offenen und toleranten Gesellschaft, in der die Würde jedes Menschen als höchster Wert gilt und die Selbstbestimmung des Einzelnen gewährleistet wird.“

Paternalistische Verbote mit freiheitlichem Demokratieverständnis unvereinbar

Grüttner hätte, wiederum sorgfältige Prüfung vorausgesetzt, ebenso feststellen können, dass das DIJG in Fragen zur Homosexualität keine diskriminierende, sondern fachlich differenzierte Sicht vertritt. Dazu gehört auch die Auffassung, dass jenen Menschen, die ihre Homosexualität als „ich-dyston“, als nicht stimmig für sie, als nicht zu ihnen gehörend erleben, erläutert Vonholdt, ebenso die Freiheit haben müssen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, die der Diagnose „Ich-dystone Sexualorientierung“ (ICD-10 F66.1) zugeordnet werden kann. Vonholdt betont, dass dementsprechende Therapien von anerkannten Therapeuten durchgeführt werden müssen, die allgemein anerkannte verhaltenstherapeutische, tiefenpsychologische und andere gebräuchliche Therapieverfahren anwenden. Die Kinder- und Jugendärztin hält nichts davon, Therapien in Fällen von „ich-dystoner Homosexualität“ zu verbieten. Vonholdt erklärte dazu: „Dies wäre eine Bevormundung jedes Ratsuchenden und damit ein massiver Eingriff in die Selbstbestimmungs- und Freiheitsrechte jedes Bürgers. Wir halten solche paternalistischen Verbote für nicht vereinbar mit einem freiheitlichen Demokratieverständnis.“

Vor dem Hintergrund des Geschehens stellt sich die ernste Frage, welches Demokratieverständnis diejenigen haben, die offenbar daran interessiert sind, das DIJG mit Hilfe des Vorwurfs der Diskriminierung Homosexueller zu diskreditieren. Volker Beck, der in konservativ eingestellten Kreisen als Lobbyist von Lesben- und Schwulenverbänden gilt, hat dies in der Vergangenheit bereits mehrfach versucht, insbesondere, als er beim Marburger Kongress 2009 ein Redeverbot für die Leiterin des DIJG forderte, aber am Widerstand der Veranstalter und einer informierten Öffentlichkeit scheiterte (MEDRUM berichtete). Während von Beck kaum eine Änderung seiner Haltung zum DIJG erwartet werden kann, beibt indes abzuwarten, wie Hessens Soziaminister und der Diakoniepräsident angesichts der tatsächlichen Verhältnisse, die ihnen vermutlich nicht verborgen bleiben werden, weiter verfahren wollen.