9. Mai 2021

Organspende: Geteiltes Echo auf Bundestagsbeschluss

Quelle: idea.de

Zukünftig werden alle Krankenversicherte über 16 Jahre von ihrer Krankenkasse aufgefordert, einen Spenderausweis auszufüllen. Foto: PR

Der Bundestag hat am Freitag eine Neuregelung der Organspende beschlossen. Während die EKD die Entscheidung begrüßt, kritisieren Lebensrechtler das Gesetz scharf. Für die CDL-Vorsitzende Mechthild Löhr hat die „freiwillige Entscheidungslösung“ den „Charakter einer Nötigung“.

Berlin (idea) – Ein geteiltes Echo hat die am 25. Mai vom Bundestag beschlossene Neuregelung der Organspende ausgelöst. Vertreter der Lebensrechtsbewegung äußerten scharfe Kritik. Die Christdemokraten für das Leben (CDL) erwägen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Dagegen begrüßen die EKD und der Evangelische Arbeitskreis (EAK) der CDU/CSU den Beschluss. Das Parlament sprach sich mit Stimmen aus allen fünf Fraktionen für eine „freiwillige Entscheidungslösung“ aus. Danach werden alle Krankenversicherten über 16 Jahre von ihrer Krankenkasse regelmäßig aufgefordert, einen Spenderausweis auszufüllen. Dabei kann man einer Organspende generell zustimmen, einzelne Organe ausschließen oder nur bestimmte Organe freigeben. Zudem besteht die Möglichkeit, eine Organspende grundsätzlich abzulehnen. Eine Pflicht, sich zu entscheiden, ist nicht vorgesehen. Wer den Ausweis nicht ausfüllt, muss mit keinen negativen Konsequenzen rechnen. Die Entscheidung soll auf der Versichertenkarte vermerkt werden. Das neue Verfahren tritt an die Stelle der bisher geltenden Zustimmungslösung, wonach ein Mensch zu Lebzeiten aus eigenem Antrieb einer Organspende zugestimmt haben muss oder Angehörige eines Hirntoten dies stellvertretend tun. Laut Umfragen sind zwar etwa 75 Prozent aller Bundesbürger bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden, doch nur etwa 25 Prozent besitzen einen Organspende-Ausweis. 12.000 Kranke warten dringend auf ein Organ.

CDL: Bei der Organentnahme ist niemand tot

Scharfe Kritik an der Bundestagsentscheidung übt die Vorsitzende der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), Mechthild Löhr (Königstein/Taunus). Auf die Bürger werde ein ungeheurer moralischer Druck ausgeübt, ohne sie über die Folgen aufzuklären, sagte sie gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Organentnahmen seien derzeit in Deutschland nur bei einem Menschen erlaubt und möglich, der vorher für hirntot erklärt wurde. Tatsächlich sei man zum Zeitpunkt der Organentnahme „eindeutig ein noch Lebender“, der sich im Sterbeprozess befinde und künstlich beatmet werde. Deshalb werde zu Unrecht der Eindruck erweckt, dass man bei der Entnahme von Organen bereits tot sei. Laut Löhr hat der Bundestag eine „Vergesellschaftung der Organe“ des Einzelnen beschlossen, was eine „unglaubliche Hybris des Staates“ sei. Zwar werde bei der vorgeschlagenen Lösung formal das Prinzip der Freiwilligkeit gewahrt, doch indirekt übe der Staat Zwang auf die Bürger aus. Löhr: „Das hat den Charakter einer Nötigung.“ Besonders bei körperlich oder psychisch schwer erkrankten Menschen könne dies äußerst negative Auswikrungen haben. Außerdem bezweifelt Löhr, dass sich die Zahl der möglichen Spender deutlich erhöht. Viele Bürger hegten ein tiefes Misstrauen, wenn der Staat persönliche Daten abfrage und speichere. Die CDL will mit einer Musterklage vor dem Bundesverfassungsgericht klären lassen, ob der Staat überhaupt befugt ist, Unmengen an Daten über jeden Bürger anzulegen.

Eine „verschleierte Zwangsregelung“

Für den Bundesverband Lebensrecht (Berlin) ist der Beschluss „mehr als enttäuschend“. In einer entscheidenden Frage der Würde und der Selbstverantwortung des Menschen werde eine verhängnisvolle Richtung eingeschlagen, weil „im interessengeleiteten Bemühen zur Bereitschaft von mehr Organspenden“ immer mehr die Achtung vor der Würde des Menschen bis zu seinem natürlichen Lebensende verloren gehe. Die neue Gesetzeslage könne nur noch mühsam den Anschein von Freiwilligkeit bei der Organspende aufrecht erhalten. In Wirklichkeit handele es sich um eine „verschleierte Zwangsregelung“, „die einer ambitionierten Entmündigung durch eine mehr oder weniger offene Druckausübung gleichkommt“. Im Bundesverband Lebensrecht unter Vorsitz des Journalisten Martin Lohmann (Bonn) sind 14 Organisationen zusammengeschlossen.

Evangelikale befürchten moralischen Druck

Der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb (Stuttgart), äußerte sich gegenüber idea „dankbar“, dass niemand zu einer Entscheidung für oder gegen eine Organspende gezwungen werde. Er befürchtet allerdings einen starken moralischen Druck, wenn man alle fünf Jahre seine Haltung neu bedenken soll. Mit der staatlichen Werbung für Organspenden sei die Pflicht zu sachgerechten und ehrlichen Informationen verbunden. Dazu gehöre etwa die Frage, ob die „Hirntoddefinition“ für die Feststellung des Todes geeignet sei. Dass sie ausgerechnet im zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn von Organtransplantationen erarbeitet worden sei, weise auf mögliche Probleme hin. Auch solle deutlich gesagt werden, dass mitunter Menschen künstlich am Leben gehalten werden müssen, um Organentnahmen zu ermöglichen. Außerdem müsse offen gelegt werden, wer, wann, weshalb und wieviel an Organtransplantationen verdiene.

Hospiz-Stiftung: Es fehlt an Transparenz

Nach Ansicht der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung (Dortmund) hat der Bundestag die Chance vertan, eine tragfähige Lösung für das Transplantationssystem zu finden. Dass trotz vielerlei Werbung für Organspenden die Zahl der Spender nicht steige, sei eine „Reaktion auf mangelnde Transparenz und fehlende parlamentarische Legitimation bei der Vergabe von Lebenschancen“. Notwendig wäre ein Ende der „staatlich deregulierten Verantwortungslosigkeit“, indem man die mit Organtransplantationen befassten privaten Organisationen wie Bundesärztekammer, Deutsche Stiftung Organtransplantation und Stiftung Eurotransplant unter parlamentarische Kontrolle und Führung stelle. Zurückhaltend äußert sich auch die katholische Kirche. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch (Freiburg), lassen sich mehr Spender für Organe nur finden, „wenn die Menschen davon ausgehen können, dass kein Zwang auf sie ausgeübt wird, und sie in Freiheit ,großherzige Solidarität’ üben können“. Er bezeichnete den Beschluss als eine politische Entscheidung. Im Vorfeld habe die Kirche „immer wieder deutlich gemacht, welche Grenzen und Kriterien bei diesem sensiblen Thema zu beachten sind“:

EKD: Organspende als Nächstenliebe

Hingegen sieht die EKD in der Neuregelung eine Ermutigung zu größerer Bereitschaft zur Organspende. „Die Frage der Organspende ist auch eine Frage der Nächstenliebe“, sagte der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Bernhard Felmberg (Berlin), gegenüber idea. Die Kirche müsse aber respektieren, wenn sich ein Mensch gegen eine Organspende entscheide. Mit der Einsetzung von mehr Transplantationsbeauftragten in den Klinken greife das Gesetz eine Forderung der EKD auf. Felmberg: „Jetzt ist es an der Zeit, der Bevölkerung durch die notwendige Information und Aufklärung in ihrer Entscheidungsfindung zur Seite zu stehen. Das betrifft insbesondere die Information über den sogenannten Hirntod.“

EAK der CDU/CSU: Guter Kompromiss

Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU/CSU, der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel, hält den Bundestagsbeschluss für „einen guten und abgewogenen Kompromiss bei der notwendigen Neuregelung der Organspende“. Jetzt werde intensiver und konsequenter für die lebensrettende Organspende geworben.