17. September 2021

Wie Gemeinden wieder wachsen

Quelle: idea.de

Gemeindewachstum. Foto: TiM Caspary/pixelio.de

Wetzlar (idea) – Der Trend zeigt nach unten: Die Mitgliederzahlen der Kirchen sinken; mancherorts müssen Gemeinden zusammengelegt oder geschlossen werden. Aber nicht überall: Es gibt auch evangelische Gemeinden, die gegen den Trend wachsen. Wie machen die das? Gewinnen sie durch Evangelisation Menschen, die bisher kaum etwas mit Glaube und Kirche anfangen konnten, oder nehmen sie bereits überzeugte Christen aus anderen Gemeinden auf? Diesen Fragen ist die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) nachgegangen.

Man dürfe das sogenannte Transferwachstum nicht gegen die klassische Evangelisation ausspielen, meint der Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste in der EKD, Oberkirchenrat Erhard Berneburg (Hannover). Vielmehr solle man fragen, was manche Angebote attraktiv mache. In einer pluralen Gesellschaft seien vielfältige Formen nötig, um Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Man könne ihnen nicht befehlen, wohin sie sich in ihrer Suche nach Sinn, Spiritualität und Trost wenden sollen.

Florierende Gemeinden sprechen Fernstehende an

Ähnlich äußert sich der Vorsitzende der Deutschen Evangelistenkonferenz, Pfarrer Johannes Eißler (Reutlingen). Gemeinden wüchsen anfangs oft auf Kosten von Nachbargemeinden, räumt er ein. Das sei aber nicht generell zu verurteilen. Florierende Gemeinden hätten viel eher die Möglichkeit, auch Fernstehende anzusprechen. Eißler: „Tatsache ist, dass lebendige Gemeinden auf Dauer auch für Nichtchristen anziehend wirken.“ Auch die Zeltevangelisation habe nach wie vor ihre Berechtigung. Dem pflichtet der Missionsleiter der Deutschen Zeltmission, Mathias Lauer (Siegen), bei. Zwar sei es vor allem in Städten schwieriger geworden, Außenstehende mit einem Großzelt zu erreichen, aber in ländlichen Regionen kämen nach wie vor bis zu 600 Besucher pro Abend, darunter auch Kirchenferne. Grob geschätzt gingen also etwa zehn Mal mehr Besucher ins Zelt als in den Sonntagsgottesdienst.

Gemeinde mit Waldkindergarten und Musikschule

Vielfalt praktiziert auch die Evangelische Gemeinde Schönblick in Schwäbisch Gmünd. Sie gehört zum Gemeinschaftsverband „Die Apis“ und genießt einen Sonderstatus in der württembergischen Landeskirche. Sie hat etwa 350 Mitglieder und rund 500 Gottesdienstbesucher. Einmal im Jahr veranstaltet sie eine Evangelisation im Stil von ProChrist. Sie bietet auch andere Angebote für Außenstehende, etwa einen Waldkindergarten und eine Musikschule, an der 220 Kinder und Jugendliche lernen.

Beim „Wal-Sonntag“ wird alles erklärt

Als „Kirche für Fragende und Suchende“ versteht sich die Gemeinde, die sich in Hannover im „Expo-Wal“ versammelt. Sie konzentriert sich laut Pastor Heino Masemann „auf das, was wir können: Gottesdienst feiern“. An jedem ersten und dritten Wochenende ist „Wal-Sonntag“. In dem zur Weltausstellung Expo im Jahr 2000 errichteten Pavillon gibt es dann ab 10 Uhr Frühstück; um elf Uhr beginnt der erste Gottesdienst und um 13 Uhr der zweite – für Langschläfer. Ab 18 Uhr ist Zeit für Begegnung bei Pasta, Wasser und Wein, und um 18.30 Uhr startet der einstündige Abendmahlsgottesdienst. Vorkenntnisse sind nicht nötig: Alles wird erklärt, selbst das Vaterunser wird an die Wand projiziert.

Kirche am Stadtrand von Fulda muss anbauen

Die evangelische Kreuzkirche am Rande eines Neubaugebiets im osthessischen Fulda ist so stark gewachsen, dass sie anbauen und ihre 120 Sitzplätze verdoppeln muss. Einmal im Monat lädt sie zum „AAAnderen Gottesdienst“ ein: Die Großbuchstaben stehen für Ausschlafen, Aufatmen, Aufeinanderzugehen. Fast 200 Besucher kommen. Doch Pfarrer Stefan Bürger nutzt auch andere volkskirchliche Möglichkeiten: Er legt Wert auf Amtshandlungen wie Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung; er bietet Glaubenskurse an und spricht mit Eltern, wie sie mit ihren Kindern über den Glauben reden können. Außerdem lädt die Gemeinde dreimal in der Woche zu einem Lauftreff ein.

Mitglieder bringen Freunde mit

Besondere „JustGo-Gottesdienste“ für Kirchendistanzierte bietet auch die evangelische Nord-Ost-Gemeinde in Frankfurt am Main an. Mit 80 bis 120 Besuchern haben diese allerdings weniger Zulauf als die normalen Gottesdienste. Der Grund: Die Gemeindemitglieder sind angehalten, nur zu kommen, wenn sie Gäste mitbringen, so Pfarrer Andreas Hannemann. Jedes Mal seien fünf bis zehn Besucher zum ersten Mal da. Für den Potsdamer Superintendenten Joachim Zehner reicht allein der Wille zum Wachstum nicht aus. Die Kirche wachse, wenn die im zweiten Kapitel des Apostelgeschichte erwähnten Dimensionen zum Tragen kämen: Diakonie, Gemeinschaft, Verkündigung. Besonders attraktiv für Außenstehende seien Tauffeste und Glaubenskurse. Innerhalb von drei Jahren ist die Mitgliederzahl seines Kirchenkreises um 1.000 auf 26.200 gewachsen.