22. Januar 2022

Finanznot bedroht die Existenz des Weltkirchenrats

Quelle: idea.de

Genf (idea) – Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) steckt in der schwersten Finanzkrise seiner 63-jährigen Geschichte. Trotz Personalabbau und Sparmaßnahmen muss der Dachverband wahrscheinlich sein Gelände in Genf verkaufen, um sich über Wasser zu halten. Für die Misere gibt es mehrere Ursachen: Der hohe Wechselkurs des Schweizer Frankens mindert den Wert ausländischer Einkünfte. Ferner lässt die Zahlungsmoral der Mitgliedskirchen weiter zu wünschen übrig, und im Pensionsfonds klafft ein tiefes Loch.

In der Kasse, die die Altersversorgung der Mitarbeiter sichern soll, fehlen rund 30 Millionen Schweizer Franken (24 Millionen Euro). Im vorigen Jahr lag sank die Kapitalrendite des Fonds um 0,6 Prozent; ein Plus von fünf Prozent wäre nötig gewesen, um das finanzielle Gleichgewicht zu wahren. Die Reserven des ÖRK sind erschöpft, und so überlegt der seit 2010 amtierende Generalsekretär, der Norweger Olav Fykse Tveit, Investoren für das 35.000 Quadratmeter große Gelände in Genf oder andere Schweizer Immobilien zu interessieren. Ein Darlehen in dieser Höhe aufzunehmen, wäre zu riskant.

Deutschland zahlt 39 Prozent des Beitragsaufkommens

Der 1948 gegründete ÖRK besteht heute aus 349 evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen mit 560 Millionen Mitgliedern in mehr als 110 Ländern. Sie steuerten im Jahr 2010 mit 26,6 Millionen Schweizer Franken etwa 82 Prozent des gesamten Einkommens bei; der Rest wurde etwa mit Einnahmen aus Vermietungen erzielt. Doch nur zwei Drittel der Mitgliedskirchen zahlen überhaupt Beiträge, und längst nicht alle kommen ihren Verpflichtungen in ausreichendem Maße nach: 95 Prozent der Beiträge kamen aus Europa und Nordamerika; Deutschland stand mit 39 Prozent an der Spitze, gefolgt von den Niederlanden (14 Prozent), Schweden (12), den USA (7), der Schweiz (5), Kanada und Finnland (jeweils 4) sowie anderen westlichen Ländern. Der Mitarbeiterstab des ÖRK ist seit Ende der neunziger Jahre von 350 auf 143 reduziert worden; davon arbeiten 131 in der Genfer Zentrale.

ÖRK verliert an Bedeutung

Nicht nur finanziell geht es mit dem ÖRK bergab. Seine Blütezeit waren die siebziger und achtziger Jahre. Damals bestimmte der Weltkirchenrat mit einem von Konservativen als politisch einseitig kritisierten Programm die Tagesordnung weiter Teile der Christenheit. Ihren Höhepunkt fanden die Aktionen im Kampf gegen Apartheid im südlichen Afrika und dem Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Inzwischen aber hat der ÖRK immer mehr an Bedeutung verloren. Die theologisch liberalen Kirchen schrumpfen, während die evangelikal-charismatische Bewegung und die Pfingstkirchen auf der südlichen Erdhalbkugel rasant wachsen. Sie stehen der ökumenischen Bewegung meist kritisch gegenüber.

Raiser: Offenheit gegenüber charismatischer Bewegung

Gegen die neuen Strömungen dürfe sich die ökumenische Bewegung aber nicht abschotten, mahnte der frühere ÖRK-Generalsekretär, Konrad Raiser (Berlin), beim diesjährigen Adventsempfang der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in Kassel. Der ÖRK bleibe trotz des „deutlichen und kontinuierlichen“ Rückgangs seiner Finanzkraft der repräsentativste Zusammenschluss von Kirchen. Der 73-jährige Raiser amtierte von 1993 bis 2003 als Generalsekretär. Der kurhessen-waldeckische Bischof Martin Hein (Kassel), der dem Zentralausschuss angehört, erklärte, der ÖRK werde weiter gebraucht, um in Deutschland und Europa den Blick zu weiten sowie vor Provinzialität zu schützen: „Gäbe es den ÖRK nicht, müsste er jetzt erfunden werden.“