26. Januar 2022

Sarrazin spricht in einer Kirche

Quelle: idea.de

Halberstadt (idea) – Trotz Protesten ist der umstrittene Bestseller-Autor und ehemalige Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin (SPD) bei einer kirchlichen Veranstaltung aufgetreten. Er war am 14. April Gast bei einem Gespräch in der Moritzkirche in Halberstadt (Sachsen-Anhalt).
 

Der 66-Jährige ist Autor des 2010 erschienenen Buches „Deutschland schafft sich ab“, von dem 1,2 Millionen Exemplare verkauft wurden. Als Ursachen für die Misere benennt er darin eine Kombination aus Geburtenrückgang, wachsender Unterschicht und muslimischer Zuwanderung. Auf heftige Kritik war seine Äußerung in einem Interview gestoßen, dass alle Juden ein bestimmtes Gen hätten. Bei der Veranstaltung in Halberstadt, an der rund 400 Personen teilnahmen, wurde Sarrazin von den evangelischen Pfarrern Harald Kunze und Hartmut Bartmuß befragt. Im Vorfeld hatten Kirchenvertreter gegen den Auftritt Sarrazins protestiert. In einem offenen Brief hieß es, die Kirche dürfe einem Autor, „der populistische, sozialdarwinistische und teils rassistische Positionen vertritt“, kein Podium bieten, auf dem er ohne Widerspruch seine Thesen vertreten kann. Der Brief war unter anderem an die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann (Magdeburg), gerichtet. Zu den 18 Unterzeichnern gehörten die Migrationsbeauftragte der EKM, Petra Albert (Magdeburg), sowie die Direktoren der Evangelischen Akademien in Sachsen-Anhalt und in Thüringen, Friedrich Kramer (Lutherstadt Wittenberg) und Michael Haspel (Neudietendorf bei Erfurt). Die Veranstalter wiesen die Kritik zurück. Man sei selbst in der Lage, Sarrazin kritisch zu befragen, so Bartmuß zu Beginn der Veranstaltung.

Sarrazin: Niemand hat meine Thesen widerlegt

Sarrazin vertrat in dem Gespräch die Ansicht, dass Deutschland kein nachhaltiges Gesellschaftsmodell habe. In jeder Generation gebe es ein Drittel weniger Geburten als in der vorangegangenen. Ihm habe bisher keiner sagen können, wo er in seinem Buch falsch gelegen habe, so Sarrazin. Es sei bedenklich, dass der Anteil von in bildungsfernen Haushalten geborenen Kindern zunehme; in Berlin liege er bei 40 Prozent. Es sei daher nicht verwunderlich, dass Berlin zwar am meisten Geld pro Schüler ausgebe, bei PISA-Tests jedoch am Ende stehe. Zudem schaffe die von Deutschland praktizierte Einwanderung zusätzliche Schwierigkeiten. Sarrazin warf seinen Kritikern vor, diese Probleme zu leugnen. So habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sein Buch ignoriert. Sie interessiere sich vor allem für ihre Wiederwahl.

Deutsche Familienförderung ist „Lizenz zum Gelddrucken“

Sarrazin zufolge ist die deutsche Förderung für Familien mit geringem oder keinem eigenen Einkommen eine „Lizenz zum Gelddrucken“. Jedes zusätzliche Kind verbessere den eigenen Lebensstandard. Dies erkläre, warum türkische und arabische Familien so kinderreich seien. Das deutsche Sozialsystem setze die falschen Anreize. In den USA dienten Kinder der eigenen sozialen Absicherung im Alter. Dieser Zusammenhang sei in Deutschland ausgeschaltet. Deshalb würden Kinder zum Luxusgut. Sarrazin empfahl, das Steuersystem Frankreichs zu übernehmen. Dort gibt es ab dem dritten Kind deutliche Steuererleichterungen für Familien. Dieses Modell sei für Familien mit höherem Einkommen sehr attraktiv. In den USA liegt die Geburtenrate pro Frau bei 2,1; in Frankreich bei 1,8 und in Deutschland bei 1,4. Es sei eine Ausrede, dass sich an der niedrigen Geburtenzahl nichts ändern lasse, so Sarrazin.

Deutschland braucht „nützliche“ Einwanderung

Er plädierte dafür, zwischen „nützlicher“ und „nicht nützlicher“ Einwanderung zu unterscheiden. So stifteten Vietnamesen in der Summe für Deutschland Nutzen. Dies gelte nicht für Gruppen, die überwiegend von Sozialhilfe lebten. Es sei legitim, die Frage zu stellen: „Was bist Du eigentlich nütze?“ – es sei denn man ist alt oder krank. Lobend äußerte sich Sarrazin darüber, dass Frauen in der DDR meist im Alter zwischen 18 und 24 Jahren geheiratet und Kinder bekommen hätten. Dagegen würden Frauen heute erst „vier, fünf Partner ausprobieren“ und das erste Kind „kurz vor der Meno-Pause“ gebären. Dies sei kein zukunftsträchtiges Modell. Sarrazin äußerte sich auch zur Kindererziehung. Eltern sollten sich mit ihren Kindern regelmäßig unterhalten, anstatt sie vor dem Fernseher abzusetzen. Kindergärten oder Ganztagsschule könnten fehlende elterliche Anregung nicht ersetzen. Eine „Verstaatlichung des Erziehungsauftrags“ sei nicht wünschenswert, sondern eher aus der Not geboren.

Vorwurf des Fremdenhasses ist „unendlich albern“

Sarrazin bekräftigte seine Aussagen zur genetischen Vererbung von Intelligenz. Es sei in der Wissenschaft eine unbestrittene Tatsache, dass Intelligenz zu 50 bis 80 Prozent erblich sei. Sarrazin wies den Vorwurf zurück, er sei ein Antisemit. Für seine Aussage, dass alle Juden ein bestimmtes Gen teilten, habe er im orthodoxen Judentum viel Zustimmung erhalten. Sarrazin distanzierte sich erneut von rechten Parteien wie der NPD. Ihm Fremdenhass zu unterstellen, sei „unendlich albern“. Wenn er für diese Aussagen Beifall von der falschen Seite bekomme, dürfe dies bei der Wahrheitsfindung nicht entscheidend sein. Sarrazin: „Wenn die NPD sagt: ‚Sarrazin hat Recht, die Erde ist rund’, werde ich deswegen die Erde nicht für flach erklären.“ Zum drohenden Parteiausschluss aus der SPD sagte Sarrazin, er werde auch dann noch SPD-Mitglied sein, wenn Sigmar Gabriel nicht mehr Parteivorsitzender sei.

Sarrazin verließ die Kirche als 26-Jähriger

Zur Frage, wann er wieder in die evangelische Kirche zurückkehre, sagte Sarrazin, er sei evangelisch erzogen worden und habe ein katholisches Gymnasium besucht. Er schreibe sich ein besseres Bibelwissen zu als 80 Prozent der Christen. Gleichwohl sei er im Alter von 26 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Der Grund: Anders als die Kirche sei er der Auffassung, dass der Mensch – im Gegensatz zu Tieren – als einziger ewiges Leben habe. Sarrazin wies ferner darauf hin, dass religiöse Menschen in der Regel mehr Kinder haben: „Menschen, die keine Religion haben, sind die, die zuerst aussterben werden.“ Das Gespräch mit Sarrazin war ursprünglich für den 24. Februar geplant. Die Veranstalter hatten es jedoch kurzfristig abgesagt. Sie beklagten einen „unerträglichen Druck“ von kirchlicher Seite. Der Auftritt war von Landesbischöfin Junkermann und dem Aktionsbündnis „Kein Podium für Sarrazin in der Kirche“ kritisiert worden. Sarrazins Aussagen seien mit dem biblischen Menschenbild nicht vereinbar, so der Vorwurf.