28. Januar 2022

Wäre eine Welt ohne Religion besser?

Quelle: idea.de

Foto: Flickr/eioua

Berlin (idea) – Wäre die Welt ohne Religion besser dran? Darüber diskutierten Journalisten, Wissenschaftler und Unternehmer am 24. März vor 270 Zuhörern in Berlin. Eingeladen hatte die Disput Berlin GmbH, die die Streitkultur fördern möchte. Bei der von Ex-„Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust moderierten Diskussion sprachen sich je vier Vertreter für bzw. gegen eine Welt mit Religion aus.
 

Alan Posener (Berlin), Korrespondent für Politik und Gesellschaft der Zeitung „Welt am Sonntag“, sagte, wer ordentlich vorsorge, brauche nicht zu beten. Er forderte die Religionen zum Wettbewerb auf: „Lasst uns sehen, wer die besseren Werke vollbringt!“ Posener beobachtet eine Radikalisierung der Religionen. So benutze der Islam inzwischen „Handys und Plastiksprengstoff“. Scharfe Kritik übte Posener auch an Papst Benedikt XVI., der gegen den Pluralismus kämpfe. Mit seinem absoluten Wahrheitsanspruch verschärfe er den Kampf der Religionen. Allzu oft lebten sie nach dem Motto „Wer nicht will mein Bruder sein, dem schlage ich den Schädel ein“. Im 2. Buch Mose im Alten Testament stehe auf Ehebruch, Selbstbefriedigung und das Sammeln von Reisig am Sabbat die Todesstrafe. Eine solche Religion lasse sich nicht verteidigen. Die Sozialwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin, Necla Kelek (Berlin), argumentierte, dass Religion häufig eine Quelle von Krieg und Machtmissbrauch sei. So seien die Kreuzzüge, der Dreißigjährige Krieg und der islamische sogenannte Heilige Krieg, der Dschihad, im Namen der Religion geführt worden. Die Kieler Kriminologin Prof. Monika Frommel sagte, Moral bedürfe keiner organisierten Religion, sondern der praktischen Vernunft. Auch ohne Religion könne man Nächstenliebe und Mitleid üben.

Atheist: Heidenspaß statt Höllenqual

Der Pressereferent der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung, der Pädagoge Philipp Möller (Berlin), sprach sich dafür aus, dass „der Staat den Kirchen nicht länger Steuermilliarden in den Arsch bläst“. Eine offene Gesellschaft brauche keine staatlich finanzierte Mythologie. An Gott zu glauben sei ebenso absurd wie der Glaube an die Zahnfee. Anstatt Religion brauche der Mensch Wissenschaft, Philosophie und Künste. Möller: „Wir sind für Diesseits statt Jenseits, für Heidenspaß statt Höllenqual.“ Der jüdische Glaube sei der Aberglaube einer primitiven Hirtenkultur.

Wenn Atheisten feststellen, dass es Gott gibt …

Scharfen Widerspruch erntete Möller vom Wallfahrtsdirektor des katholischen bayerisch-schwäbischen Wallfahrtsortes Maria Vesperbild (Bistum Augsburg), Wilhelm Imkamp. Wer den jüdischen Glauben als primitiv bezeichne, betreibe Judenverfolgung. Für Atheisten wie Möller, die glauben, dass es „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott“ gebe, bestehe ein Restrisiko: „Wenn Sie feststellen, dass es Gott doch gibt, sind Sie ganz schön im Eimer.“ Gott sei eine Ressource für alle Situationen des Lebens, und die Kirche sei der Dienstleister, um diese zu nutzen. Imkamp bot dem noch ungetauften Moderator Stefan Aust an, die Taufe nachzuholen.

Christlicher Glaube ist Teil des Alltags

Der katholische „Spiegel“-Autor Matthias Matussek (Hamburg) vertrat die Ansicht, dass die Religion die entscheidenden Fragen stelle: „Wie soll ich leben? Und was kommt danach?“ Dagegen betreibe der Atheismus „biologistische Erbsenzählerei“. In einem naturalistischen Weltbild sei der Mensch „nichts als Biologie“. Dagegen sei der christliche Glaube fester Bestandteil des Alltags. So sei die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) verewigt. Das 20. Jahrhundert mit seinen Kriegen und Massenmorden sei ein Schlachthaus und habe gezeigt, wie eine Welt ohne Religion aussieht. Dass jemand den jüdischen Glauben als primitiven Aberglauben abtue, habe es in Deutschland schon einmal gegeben. Matussek zitierte dazu einen Ausspruch Adolf Hitlers (1889-1945): „Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung, eine Verstümmelung des menschlichen Wesens.“ Matussek wurde dafür von Teilen des Publikums ausgebuht.

Atheismus bietet keinen Trost

Die katholische Unternehmerin Fürstin Gloria von Thurn und Taxis (Regensburg) sagte, wenn man die Religion überwinde, herrsche Aberglauben. Zudem habe der Atheismus einem verzweifelten Menschen keinen Trost zu bieten. Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber (Berlin) erklärte, eine Gesellschaft brauche sowohl religiös als auch moralisch gebildete Menschen. Religion gebe dem Leben Halt und Sinn. Der Mensch frage über sich selbst hinaus, und es sei fatal, wenn er dabei nur auf sich selbst treffe. Zudem gebe es keine Instanz, die besser geeignet sei, Religionskritik zu betreiben als die Religion selbst. Huber: „Ich habe gelernt, Religions- und Kirchenkritiker zu sein.“ Er kenne kein Buch, das eine tiefere Einsicht in die Sündhaftigkeit des Menschen habe als die Bibel. Zugleich biete sie die befreiende Botschaft, dass man jeden Tag neu anfangen könne. Zu Beginn und zum Ende der Veranstaltung wurden die Zuhörer mittels elektronischer Abstimmung nach ihrer Meinung befragt. Zu Beginn waren 35,7 Prozent für eine Welt ohne Religion und 56,3 Prozent für eine Welt mit Religion; 8 Prozent enthielten sich. Am Ende der Debatte stimmten 35,5 Prozent der Zuhörer für eine Welt ohne Religion, 58,1 Prozent dagegen, und 6,4 Prozent enthielten sich.