25. Januar 2022

Sollen Geistliche noch Talar tragen?

Quelle: idea.de

Kassel/Witten (idea) – Er ist so etwas wie das Markenzeichen des evangelischen Pfarrers: der Talar. In den Landeskirchen ist es seit 200 Jahren Pflicht, ihn im Gottesdienst und bei Amtshandlungen zu tragen. In Freikirchen hingegen ist diese Amtskleidung völlig unüblich.
 

Eingeführt wurde der schwarze Talar 1811 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) durch eine „Kabinettsordre“. Die schrieb allen Pfarrern in seinem Herrschaftsgebiet den schwarzen Talar als Dienstkleidung vor. Das konnte er, weil er als König von Preußen auch Oberhaupt der evangelischen Kirche war und außerdem alle protestantischen Pfarrer staatliche Beamte waren. Zu jener Zeit predigten die einen im Anzug, andere im Messgewand und wieder andere im Talar von der Kanzel herab. Diesem „Wildwuchs“ wollte der König ein einheitliches Bild entgegensetzen – „um der Gleichförmigkeit willen und um der Willkür zu wehren“, wie es im Gesetzestext von damals heißt. 1843 tat es ihm der bayerische König gleich. Nach und nach wurde der schwarze Talar dann in allen Landeskirchen eingeführt und bis heute verpflichtend beibehalten. Zum Für und Wider äußern sich je ein führender Vertreter aus Landes- und Freikirchen in Beiträgen für die Evangelische Nachrichtenagentur idea.

Die Person tritt hinter dem Auftrag zurück

Nach Ansicht des Bischofs der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Martin Hein (Kassel), steht der Talar in bester evangelischer Tradition: Bereits Martin Luther (1483-1546) habe seit 1524 bei der Predigt einen dunklen, weiten Rock und bei der Austeilung des Abendmahls das feierliche Messgewand getragen. Das Tragen des Talars drücke für ihn eine besondere geistliche Erfahrung aus, schreibt der Bischof in einem Beitrag für idea: „Ich trage einen Talar; das heißt: Ich trete als Person hinter dem Auftrag zurück, das Evangelium, die Liebe Gottes zu uns Menschen zu verkündigen.“

Kein „Upgrade in die Business-Class der Kirche“

Am Altar und von der Kanzel spreche eben nicht das Vorstandsmitglied eines Vereins oder Unternehmens und auch nicht der religiöse Talk- und Showmaster in selbst gewählter Kleidung. Die Amtstracht sei ein sichtbares Zeichen der Beauftragung, das Wort Gottes zu verkünden. Wer einen Talar trage, habe durch die Amtstracht deswegen aber kein „Upgrade in die Business-Class der Kirche“ bekommen. Vielmehr lebe die evangelische Kirche vom Priestertum aller Gläubigen, das Luther stets herausgestellt hat.

Freikirche: Talar schafft Distanz und hebt heraus

Eine andere Sichtweise vertritt der Präses des knapp 38.500 Mitglieder zählenden Bundes Freier evangelischer Gemeinden, Pastor Ansgar Hörsting (Witten). Zwar könne der Talar dazu dienen, sowohl Person als auch Modefragen hinter den Dienst am Wort Gottes treten zu lassen. Doch symbolisiere er ein Verständnis von Glauben und Kirche, das er nicht teilen könne, schreibt er. Der Talar schaffe Distanz und hebe heraus. Während Richter in ihrer Robe im Namen des Volkes sprächen, solle durch den Talar auch in der Kirche der „geistliche Stand“ erkennbar sein und Autorität haben. Jesus gehe es jedoch vielmehr um Nachfolge – „darum, dass wir Jünger Jesu sind und andere dazu machen“. Dafür brauche man keinen geistlichen Stand und keine Distanz, sondern Nähe. „Genau das fehlt uns in Kirche und Gemeinden aber häufig“, schreibt er. „Der Talar unterstützt eine Amtsautorität und Abgrenzung, die aus meiner Sicht dem Wirken des Heiligen Geistes nicht dienlich ist. Mir ist nicht bekannt, dass sich Jesus oder die Apostel durch eine besondere Kleidung abgegrenzt haben.“