18. Mai 2022

Weihnachtspresseschau

Von Karsten Huhn – 24. Dezember 2009

Die Christen und der Islam
Heribert Prantl, Leitartikler der „Süddeutschen Zeitung“, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Christentum und Islam:
„Die Christen und die, die es einmal gewesen sind, tun sich schwer mit dem Islam-Dialog, oft auch deswegen, weil sie dem muslimischen Glaubensstolz und der Inbrunst vieler Muslime nicht viel entgegenzusetzen haben. Sie fürchten, dass die Zukunft der christlichen Vergangenheit verlorengeht. Die Auseinandersetzung mit den glaubensbewussten Muslimen macht vielen Westlern, ob gläubig oder nicht, ihre eigene Unkenntnis über die Grundlagen des Christentums klar. Die Angst vor dem Verlust der „christlichen Werte“ ist ja hierzulande paradoxerweise gerade in jenen Millieus ausgeprägt, die von eben diesen Werten sonst wenig wissen wollen – während viele praktizierende Christen den interreligiösen Dialog suchen und pflegen.“

„Uns ist ein Kind geboren“
Die linksalternative Tageszeitung („taz“) widmet ihre Titelgeschichte „Uns ist ein Kind geboren“ der Geburt eines Kindes mit Downsyndrom. Seit ihrer Gründung vor 30 Jahren setzt sich die „taz“ für das Recht auf Abtreibung ein. Überraschend sind daher folgende Sätze von taz-Redakteur Thomas Gerlach:
„Abtreibung kam für uns nicht infrage, das war unsere Überzeugung – schon vor dem ersten Kind. Hätten wir uns dennoch überreden lassen? Weil es auf Unverständnis gestoßen wäre, wenn wir diese Möglichkeit nicht wahrgenommen hätten? Weil wir die Belastung gefürchtet hätten? Die Blicke? Weil es das Beste gewesen wäre? Auch für das Kind? Diese Fragen sind uns erspart geblieben. Pränataldiagnostik hat ihre Grenzen. Gibt es ein Anrecht auf ein “normales” Kind? Gibt es nicht. Es gibt auch kein Anrecht auf ein 80 Jahre währendes Leben, nicht einmal auf Sonnenschein im Urlaub… „Was du den Weisen und Klugen verborgen hast, den Unverständigen hast du es offenbart.“ Dieser Satz aus dem Matthäus-Evangelium soll sein Taufspruch werden.“

Was geschah in der Heiligen Nacht?
Eberhard Jüngel, emeritierter Professor für systematische Theologie, belässt in der „Neuen Zürcher Zeitung“ mit seinen Erläuterungen die Weihnachtsnacht leider weitgehend im Dunkeln. Er schreibt:
„Was geschah in der Heiligen Nacht? Sagen wir es mit ganz und gar nicht ‚heiligen’ bzw. ‚religiösen’, sondern mit ganz ‚profanen’ Ausdrücken, die der zurzeit auf dem Heiligen Stuhl sitzende Theologe Joseph Ratzinger in Vorschlag gebracht hat. Er verstand die Heilige Nacht als die Zeit, in der sich das urmenschliche ‚Verlangen nach Nähe und Wirklichkeit’ erfüllte. Doch was ist Nähe, was Wirklichkeit? Das ‚Verlangen nach Nähe’ ist etwas anderes als nur die Sehnsucht nach dem Beieinander von Individuen, ganz zu schweigen von dem Nebeneinander der Dinge im Raum. Man kann inmitten von vielen Menschen sehr einsam sein und verlangt dann erst recht nach Nähe. Und das ‚Verlangen nach Wirklichkeit’ ist doch wohl etwas anderes als das Verlangen nach dem, ‚was sich aufzählen lässt’, wie eine neuerdings vorgeschlagene, sich auf Umberto Eco berufende und an den jungen Wittgenstein erinnernde Definition von Wirklichkeit lautet. Wer zählt, muss weiterzählen. Und obwohl solches Aufzählen und Weiterzählen ein ganz nüchterner Vorgang ist, hat dieser Vorgang etwas Rauschhaftes. Dasselbe gilt, wie ein intelligenter Zeitgenosse bemerkte, aber auch von manchen kirchlichen Liturgien, die ‚die Faszination des Hinzufügens bis ins Rauschhafte wachsen lassen’.

Die Exotik des Gebets in einer ungläubigen Welt
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ widmet ihren Leitartikel dem Gebet. Zeit-Redakteur Patrik Schwarz schreibt:
„Es gibt nicht viel, was heute noch peinlich ist. Der Satz ‚Ich bete’ gehört dazu. Er zieht scheele Blicke nach sich und den Verdacht, auch sonst nicht ganz von dieser Welt zu sein. Beten ist eine Zumutung für alle, die es nicht tun: Solange Glauben als eine Ansichtssache unter vielen daherkommt, vermeidet er gesellschaftlichen Anstoß. Doch wer betet, bekennt sich – und provoziert Fragen einer säkularen Welt: Muss das sein? Und wozu? Aber eine Zumutung ist das Bekenntnis zum Beten auch für den, der es tut: Sogar den meisten Christen fällt es leichter, über Sex zu reden als über das Beten. Was den zerbrechlichen Zauber des Betens ausmachen kann, davon sprechen selbst diejenigen kaum, die es praktizieren. Denn im Beten, in der Verbindung zu Gott, ist eine eigene Intimität angelegt. Hier öffnet der Gläubige sich seinem Gott und kann doch nicht gewiss sein, ihn zu finden. Hier ist er am verletzlichsten, hier begegnet er allen Unwägbarkeiten in sich – und in seinem Glauben. Das Gebet ist nicht der Ort der Selbstgewissheit, die Agnostiker an Gläubigen so schwer zu ertragen finden, sondern ein Ort der Suche.“

Die tragende Rolle des Esels in der Weihnachtsgeschichte
Eine Deutung der Weihnachtsgeschichte unternimmt der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Markus Dröge. In seiner Kolumne „Was würde Jesus dazu sagen?“ in der Berliner Boulevardzeitung „BZ“ nimmt der Esel eine tragende Rolle ein:
„Der Esel trägt Gottes Sohn direkt in die Weihnachtsgeschichte hinein. Er ist heute unser Gewährsmann. Wenn wir ihm folgen, können wir den Weg nicht verfehlen. Der Esel, das Arbeitstier, ist in der Bibel eine tragende Kreatur. Schon die Propheten hatten angekündigt, dass der Messias eines Tages auf einem Esel eintreffen werde. Ohne den Esel geht nichts. Ohne die tragende Kreatur mit den großen Augen wären Maria und Josef wohl nie von Nazareth bis nach Bethlehem gekommen. Vom Esel können wir uns leiten lassen. Er hat das Zeug zum Wappentier der Heiligen Nacht. Denn in seinem Kern geht es dem Christentum darum, dass einer des andern Last trage, dass den Schwachen Beistand gewiss ist, allen, die mühselig und beladen sind.“

Der Ärger über Weihnachtspredigten
Georg Diez beschäftigt sich im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ mit seltsamen Weihnachtspredigten:
„Ich habe an Weihnachten fast nur Pfarrer erlebt, über deren Predigten ich mich erst gewundert und dann geärgert hatte. Warum dieser Ton, als ob man mit Kindern redet, denen man die Wahrheit nicht zutraut? Warum diese Anschmiegsamkeit in der Wortwahl? Warum dieser Anschein von Selbstverwirklichungsgruppe? Mal kam statt der Predigt der heitere Kanzeldialog eines Pfarrerehepaares, als säßen wir mit ihnen am Küchentisch. Mal weigerte sich der Pfarrer, das lutherisch vorgeschriebene Mindestmaß an Reflexion und Nachdenken wenigstens anzupeilen. Dabei ginge es genau darum, in unserer rationalisierten Welt die schwierigen Fragen nach dem Glauben und dem Zweifel neu zu stellen. Es ginge darum, die harten, schönen Worte aus der Bibel wieder zu Werkzeugen zu machen, mit denen man die Gegenwart verstehen kann. Es ginge um Selbstbewusstsein statt Selbsthilfegruppe.“

Tanz um den hohlen Kürbis?
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist dem Geheimnis des Weihnachtsfestes auf der Spur. Reinhard Bingener schreibt in einem Leitartikel:
„Der reale Zauber dieses Fests wird wieder die Oberhand behalten gegenüber Versuchen, die Festtage als eingebildetes Idyll hinzustellen. Weder Kommerzialisierung noch die Zerstreuung der Familien, nicht staatliche Vereinnahmung und nicht einmal misslungene Predigten können die Kraft des Weihnachtsfestes brechen. Auch religiöse Zersplitterung oder das Verdunsten der Frömmigkeit setzen ihm nicht zu. Es gibt nur wenige Nichtgläubige und Andersgläubige, die sich der weihnachtlichen Gestimmtheit absichtsvoll entziehen. Oder ist Weihnachten etwa längst kein religiöses Fest mehr und Heiligabend nur eine Fortsetzung der Glühweinseligkeit der Weihnachtsmärkte im Kreis der Kleinfamilie? Ist geistige Entleerung die Voraussetzung seines Fortbestands? Ein lupenrein christliches Fest ist Weihnachten allerdings seit Anbeginn nicht gewesen. Die härteren Motive aus dem Symbolkosmos des Christentums hat es seinen Anhängern zu keinem Zeitpunkt zugemutet. Die Inkarnation – aus dem Blickwinkel der Dogmatik der Kern des Festes – wird der Gemeinde vorwiegend in die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas eingehüllt präsentiert und nicht in der weitaus abstrakteren Form des Johannesprologs. Der Streit der Religionen wird nicht von ungefähr über das Kreuz und nicht über die Krippe ausgetragen. Gleichwohl ist Weihnachten kein Tanz um den hohlen Kürbis. Das Fest wird nicht religiös trivial, nur weil niemandem abverlangt wird, es mit der Weihnachtsgeschichte allzu genau zu nehmen.“

Woher kommt die Kraft des Festes?
Auch Thomas Schmid, Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“ beschäftigt sich mit der Faszination von Weihnachten:
„Woher kommt die Kraft des Festes? Aus der Religion und aus der Familie. Vor fünf Jahren hat das der inzwischen verstorbene Soziologe Karl Otto Hondrich in einem zauberhaften Aufsatz gezeigt, der den Titel ‚Stille Nacht’ trug. Das Weihnachtsgeschehen, sagte er, ist ein ungeheures Geschehen, das alles Menschenmaß sprengt: Ein Sohn, der der Erlöser sein soll, wird geboren. Doch sein Leben ist von Anfang an als ein Leben zum Tod bestimmt, der Vater hat es – gegen alle Regeln des familiären Selbstschutzes – so beschlossen. Hondrich nennt das ‚eine großartig ausgreifende theologische Idee – und ein moralisches Monstrum’. Auf diesem Monstrum aber beruht der christliche Glaube. Und das Fest der Geburt Jesu wird – zumindest in der zur Innerlichkeit neigenden Neuzeit – so gefeiert, dass die grausame Erlösungsbotschaft zugleich befriedet, ja entschärft und mit dem Menschenmaß versöhnt wird. Denn das Fest, an dessen Ursprung eine dem irdischen Untergang geweihte Familie steht, ist zum größten aller Familienfeste geworden. Es steckt darin ein Ausweichen vor dem Tod – aber auch der Wille zum Triumph über ihn. Auch in seiner irdischen Art ist Weihnachten überirdisch.“