28. Mai 2022

Evangelischer Fastenkalender mit fernöstlichen Empfehlungen?

Fastenkalender: Fastenaktion der evangelischen Kirche

Es ist Fastenzeit. Millionen Deutsche verzichten vierzig Tage lang auf etwas, woran sie sich im Leben (zu sehr) gewöhnt haben. „Sich Entscheiden – 7 Wochen ohne Zaudern“ heißt das Motto der „Fastenaktion der evangelischen Kirche“. Die „lieben Mitfastenden“ werden dazu ermutigt sich zu bekennen und sich darüber bewusst zu werden, „dass die Gnade Gottes größer ist als alle Vernunft“. Welcher Gott damit gemeint ist, das scheint den Initiatoren des „Fastenkalenders für jeden Tag“ nicht ganz klar zu sein. Schon am 5. Fastentag empfiehlt Shunryu Roshi, einer der bedeutendsten Zen-Meister der Neuzeit: „Wir brauchen nicht zu lernen, wie wir Dinge loslassen können; wir müssen einfach nur lernen, es zu erkennen, wenn sie schon fort sind.“ Zwei Tage später kommt dann auch der Buddhismus-Lehrer und Mitbegründer der Insight Meditation Society (Barre, Massachusetts) Joseph Goldstein zu Wort: „Alle Religionen lehren, dass innere Freiheit und Glück nur möglich sind, wenn man loslässt“. Und um bei all dem Fastenstress den Humor nicht zu verlieren, steht dann unter einem „Jesus“-T-Shirt am 17. Fastentag ein Songtext von Marianne Rosenberg: „Steht es in den Sternen, was die Zukunft bringt? Oder muss ich lernen, dass alles zerrinnt?“ Wie gut, dass die Gnade Gottes tatsächlich größer ist als alle menschliche Vernunft. Im Kalender zur Fastenaktion der evangelischen Kirche jedenfalls ist die Vernunft auf der Strecke geblieben.

~Thomas Schneider